Leben ohne Instagram: Rückkehr in die echte Welt

Foto: Jan Gottweiss

Am Dienstag habe ich Euch hier erzählt, warum ich Instagram von meinem Handy gelöscht habe. Seitdem habe ich beobachten können, wie Tag für Tag ein bisschen mehr Lebensfreude zurückgekommen ist. Und mit ihr eine große Erleichterung, aus diesem Scheinuniversum zurück in die echte Welt gefunden zu haben.

In den letzten Tagen habe ich einige Situationen erlebt, die mir gezeigt haben, dass der Abschied von Instagram vielleicht mehr bedeutet, als ein Programm vom Handy zu löschen.

Ich brauche keinen Applaus. Am Donnerstag hatte ich einen harten Tag im Homeoffice – und der Feierabend war noch lange nicht in Sicht. Als mein Blick so durchs Wohnzimmer wanderte, kam ich auf die Idee, mir aus Decken und Kissen eine kleine Höhle zu bauen. Einfach, um die Situation zu verändern. Dort lag ich dann und habe den Text gelesen, den ich lesen musste. Björn hat sich kaputt gelacht und ist sogar auch mit dazu gekrochen. Normalerweise hätte ich diese Situation sofort auf Insta gepostet und mich über den Applaus gefreut, den ich für meine lustige Idee bekommen hätte. Dabei brauche ich den Applaus nicht, ich weiß auch so, dass das witzig war.

Ich genieße den ganzen Weg. Gestern habe ich mit Björn einen ungeplant langen Spaziergang gemacht. Wir waren im wunderschönen Schmiehbachtal hier in Kelkheim, einem meiner Lieblingsorte. Und eigentlich kennen wir uns da auch ganz gut aus. Doch an irgendeiner Ecke sind wir falsch abgebogen – und waren plötzlich in Bad Soden. Früher hätte ich bis dahin schon diverse Fotos von den schönen Sonnenblumen rechts und links des Weges gemacht gehabt, hätte Björn überredet, mich im Feld zu fotografieren, und nochmal, und NOCHMAL, bis meine Haare endlich einigermaßen gelegen hätten. Und dann hätte ich die Welt noch am Verlaufen teilhaben lassen. Doch gestern nicht, gestern habe ich nicht nur nicht fotografiert, sondern mein Handy gleich ganz daheim gelassen. Unterwegs habe ich darüber nachgedacht, wie sehr Instagram selbst in der Situation unser Erleben beeinflusst. Dieses Fotografieren-Posten-Fotografieren-Posten von Dingen, die man gerade tut, fühlt sich oft so an, als würde man eine Liste abarbeiten. Sonnenblume: Gepostet, check. Portrait im Feld: Gepostet, check. Dieses innerliche Abhaken führt dazu, dass man manchmal das Gefühl hat, man könnte jetzt eigentlich auch nach Hause gehen, das Foto ist ja im Kasten. Wie traurig, oder? Gestern jedenfalls habe ich jede Minute dieser 10 Kilometer langen Wanderung genossen – und nicht nur die Zeit bis zum Post.

Foto: Olga Isakova

Ich darf hier sein – und nicht im Internet. Wer draußen unterwegs ist, nach Fotomotiven Ausschau hält, Captions textet, postet, Kommentare beantwortet und sich über Likes freut, ist nicht wirklich draußen unterwegs. Sondern im Internet. Das ist etwas, das mir vorher schon irgendwie klar war, aber dann doch nicht so bewusst wie jetzt. Wir alle, die wir permanent mit Social Media beschäftigt sind, verwenden einen guten Teil unserer Aufmerksamkeit darauf. Multitasking ist eine Illusion, das liest man ja überall, und tatsächlich merke ich, dass ich mich jetzt ganz anders auf eine Situation einlassen kann, als wenn ich gleichzeitig Social Media bediene. Aufgefallen ist mir das zum Beispiel, als ich mich am Dienstagabend mit alten FNP-Kolleginnen und -Kollegen aus der Bad Vilbeler Redaktion getroffen habe. Statt meinen Taco-Salat zu fotografieren, habe ich einfach genossen, diese lieben Menschen zu sehen.

Ich bin geduldiger. Am Freitag habe ich einen schönen Tag mit meiner Mutter in Frankfurt verbracht. Erst waren wir lecker frühstücken, dann bummeln. Und dabei ist mir aufgefallen, dass ich geduldiger und nachsichtiger war als sonst. Vielleicht habe ich den unterschwelligen Stress, der entsteht, weil man immer nebenher noch dokumentiert, unterschätzt. Wie oft ist es Euch schon passiert, dass Ihr in kleinen Stresssituationen mit den Lieben ausgeflippt seid und nicht wusstet, warum? Ich kenne das sehr gut, gerade im Umgang mit meiner Mama, die manchmal etwas länger braucht. Doch am Freitag lief es ganz anders. Statt meine Kraft aufs Social-Media-Management zu verwenden, bleibt sie mir als Ressource, um geduldiger zu sein, wenn mal etwas nicht ganz reibungslos lief. Eine gute Sache.

Ich „arbeite“ weniger. Apropos Ressource, ich schreibe hier ja schon sehr lange darüber, wie ausgebrannt ich mich oft fühle. Das ist besser geworden, seitdem ich nicht mehr poste und keine Zeit mehr damit verbringe, den Anderen beim Leben und Angeben zuzusehen. Vielleicht war dieses ständige Dokumentieren und Sich-beurteilen-lassen ja ein Grund dafür, dass ich alles so anstrengend fand. Social-Media-Management ist nicht umsonst ein Beruf. Vielleicht hat sich mein Posten ja immer unterschwellig angefühlt wie Arbeit?

Ich habe ein gutes Leben – und empfinde es auch so. Am Mittwochabend hatte ich einen wundervollen Termin: Auf der ganz großartigen Dachterrasse des Hauses am Dom gab es Open-Air-Kino, dazu gekühlte Getränke und den Blick auf die abendliche Skyline im Sonnenuntergang. Das Ganze war der Auftakt zur ökumenischen Danke-Aktion für medizinische und pflegende Angestellte, die Covid-Patienten versorgen. Während ich meinen orange leuchtenden Aperol Spritz im Sonnenuntergang vor der Skyline betrachtete, dachte ich: Mann, das ist mal ein Instagram-Motiv. Nur, dass ich es nicht postete. Sondern mich auf meine Arbeit konzentrierte und darauf, den Abend zu genießen.

Auf der Dachterrasse ist mir eins bewusst geworden: Mein Leben ist manchmal tatsächlich sehr instagramable, auch wenn es offline stattfindet. Und so rum fühlt es sich verdammt richtig an.

Foto: Pedro Lopes

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