Heute morgen stand ich an der Kasse im Supermarkt, als ich Zeugin einer Begegnung wurde. Zwei Frauen, die sich kannten, liefen sich zufällig in der wenige Meter entfernten Gemüseabteilung über den Weg. Kurzes Gespräch: „Na, alles gut bei Euch?“ „Ja, alles gut. Und bei Euch?“ „Auch alles gut.“
Aha.
Während beide in unterschiedliche Richtungen davoneilten, blieb ich nachdenklich zurück. Alles gut – sagt man so. Aber was bedeutet das denn überhaupt? Und was bedeutet es in diesem Kontext? Klar, es ist eine gesellschaftlich akzeptierte und extrem heruntergebrochene Antwort auf eine ganze Reihe von Fragen: Sind alle gesund bei Euch, keine größeren Katastrophen, niemand gestorben?
Aber irgendwie geht „Alles gut“ noch weiter als das. „Alles gut“ heißt auch: „Immer so weiter. Muss ja. Was bleibt uns anderes übrig.“
Vielleicht ist nicht alles tatsächlich gut. Wahrscheinlich sogar ist nicht tatsächlich alles gut, bei wem ist es das schon. Aber es ist gut genug, um einigermaßen gut zu sein. Um dankbar zu sein. Keine großen Ausschläge, alles in Ordnung.
Und vor allem ist es gut genug für diese Art von Begegnung, bei denen man vermutlich nicht viel von sich preisgeben möchte. Denn die meisten Menschen wollen auf die flüchtige Frage „Alles gut?“ keine ehrliche Antwort hören. Sondern das adäquate, höfliche, harmlose Gegenstück mit Ausrufezeichen.
Wir sind also geradezu dazu aufgefordert, zu bestätigen, dass alles gut ist, damit die andere Person beruhigt ihrer Wege gehen kann. Alles andere wäre unhöflich und störend. Das erinnert mich an meine erste Reise in die USA im Jahr 2000. Damals waren diese Floskeln, die man heute auch hier nutzt, etwas gänzlich Neues für mich, und vor allem dieses dahingenuschelte „Hello Ma’am, how are you?“, auf das als Antwort höchstens erwartet wird: „Fine thanks“. In Südafrika ist das sogar noch extremer, da funktioniert „Y’allright?“ mehr wie „Guten Tag“ als „Wie geht es dir?“ – und ein freundliches Lächeln ist angebrachter als eine tatsächliche Antwort, mag sie auch noch so positiv sein.
Unsere Gesprächskultur ist deutlich oberflächlicher geworden in den vergangenen 25 Jahren. Und verschlossener. Wenn uns früher jemand fragte, wie es uns geht, haben wir vielleicht noch eine echte Antwort gegeben. Heute belassen wir es lieber bei dem, was von uns erwartet wird, und unsere Begegnungen im Alltag bleiben entsprechend seicht. Das Sprechen darüber, dass es einem tatsächlich auch mal nicht so gut geht, hebt man sich lieber für Menschen auf, die einem außerhalb der Gemüseabteilung begegnen. Wann sind wir eigentlich so seicht geworden? Ist das noch eine Spätfolge von Corona oder hat es doch eher etwas mit der Globalisierung zu tun? Und machen wir das, um uns zu schützen – oder weil wir verlernt haben, etwas von uns preiszugeben, das nicht zuvor kuratiert wurde (Stichwort Social Media)?
Ich frage mich, ob das sein muss. Setzt sich ein Tag nicht aus echten Begegnungen mit echten Charakteren und ihren Berichten über echte Gefühlen und Erlebnisse zusammen? Ist es nicht nahezu Teil des Menschseins, sich kurz Zeit für einen Plausch zu nehmen, eine Geschichte auszutauschen, die etwas in uns bewegt und die wir mit uns tragen, um sie abends vielleicht unserem Partner oder unserer Familie zu erzählen? Neuigkeiten auszutauschen ist etwas Ur-Menschliches, so hat man sich früher im wahrsten Sinne „unterhalten“, bevor es Netflix und Co gab. Und übrigens nicht nur mit den Allernächsten, sondern auch mit der Nachbarin, der Kollegin, der anderen Mutter.
Diese Entwicklung finde ich schade. Klar muss ich nicht jeder und jedem mein Leid klagen, aber wenn ich mir schon Zeit für einen kurzen Austausch nehme, dann möchte ich doch wahr sprechen, statt meine Zeit mit Oberflächlichkeiten zu verschwenden. Deshalb meine Bitte: Wenn wir uns begegnen, erzählt mir irgendetwas Echtes. Oder erzählt mir etwas Echtes in der Kommentarspalte, per Mail oder sonstwie. Ich habe keine Lust mehr auf „Alles gut“, wenn nicht alles gut ist. Ich bin ausgehungert nach „echt“.






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