// dezembra.blog

#psyche: Was wir von zypriotischen Strassenkatzen lernen koennen

** Ein Text ohne Umlaute: Diesen Text habe ich auf einer zypriotischen Tastatur geschrieben, das heisst, er enthaelt keine Aes, Oes, Ues oder SZs – und vermutlich einige Tippfehler. Da ich momentan keinen Zugang zu einer deutschen Tastatur habe, hoffe ich, Ihr seht es mir nach und gebt mir ein Extra-Sternchen fuer Engagegement. ;) **

Wie wohl ueberall in warmen Laendern gibt es auch hier auf Zypern jede Menge frei lebende Tiere, vor allem Katzen. Reisende Frauen sind entzueckt von den suessen Kreaturen, kennen wir sie von daheim doch als anschmiegsame und von uns abhaengige Haustierchen. Natuerlich ist es mit einer wilden Strassenkatze aber anders als mit den puscheligen Fellbabys, die sich daheim so bereitwillig an uns schmiegen. Diese Tiere hier folgen dem Gesetz der Strasse und gehoeren nur sich selbst. Sie organisieren sich und leben in Gruppen, man moechte fast sagen, in Banden, und viele von ihnen sind auf mehr als eine Art miteinander verwandt. Vor unserem Hotel hat sich eine kleine weiss-grau getigerte Katze eingerichtet, die ich jeden Tag beobachte. Diese Kreatur ist so frei, mit allen Konsequenzen. Das inspiriert mich dazu, einige Dinge zusammenzutragen, die wir von zypriotischen Strassenkatzen lernen können.

Unabhängig sein von dem, was Andere zu geben bereit sind

Die kleine Katze weiss hoechstwahrscheinlich nicht, wann sie das naechste Mal etwas zu fressen bekommt. Aber sie spielt den ganzen Tag. Sie jagt ihrem Schwanz hinterher, tollt Styropor hinterher, der ueber die Strasse geweht wird, vollzieht wagemutige Spruenge, wenn sie irgendwo ein Staeubchen entdeckt, das interessant aussieht. Und sie amuesiert sich praechtig dabei. Wenn mal eine Touristin des Weges kommt und sie streichelt, freut sie sich. Aber sie braucht keine Aufmerksamkeit von aussen, will nicht von anderen beschaeftigt werden, ist sich selbst genug und folgt konsequent dem, was ihr Spass macht. Ich moechte so sein wie diese Katze: Kuenftig weniger abhaengig von dem, was Andere mir zu geben bereit sind. Gerade auch emotional – darin liegt eine grosse Freiheit.

Die Dinge nehmen, wie sie kommen

Wir alle sind grosse Planer und wissen gerne im Vorfeld, wie etwas wird. Im Ueberraschen-Lassen sind wir hingegen oft nicht gut. Die kleine Katze fragt nicht, was kommt. Wozu auch. Es gibt ja ohnehin keine zufriedenstellende Antwort darauf. Und dass sie nicht weiss, woher die naechste Mahlzeit kommt, nun ja – schon Jesus sagt im Lukas-Evangelium: „Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstock, keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und auch kein zweites Hemd! Wenn jemand euch aufnimmt, dann bleibt in seinem Haus, bis ihr von dort weiterzieht.“ Mit anderen Worten sagt er: „Vertraut doch mal ein bisschen. Darauf, dass irgendwie schon alles werden wird. Und wenn man mal hungrig ins Bett geht, wenn man doch mal verzweifelt ist, ist das nicht gleich das Ende von allem. Irgendwie sorgt die Welt schon fuer uns, irgendwie wird es schon weitergehen.“

Schoenheit ist ein abgerissenes Ohr

Wenn ich an meine perfekten, runden, puscheligen Katzen daheim denke, die sich den ganzen Tag putzen und in der Sonne liegen, und sie mit den wilden Raeubern hier vergleiche, muss ich schmunzeln. Joschi und Keoni koennten zu jeder Tageszeit an einem Schoenheitswettbewerb fuer Katzen teilnehmen und wuerden vermutlich nicht auf den letzten Plaetzen landen. Die Jungs und Maedels hier scheren sich nicht um Schoenheit. Sie haben abgerissene Ohren, blutig unterlaufene Augen, oft genug humpeln sie oder es fehlt gleich ganz ein Stueck von der Tatze. Viele haben auch eine schlimme Rotznase, wahrscheinlich Katzenschnupfen. Klar waere es ihnen wahrscheinlich auch lieber, nicht dauernd um ihr Revier kaempfen zu muessen. Aber Mann, haben die Ausstrahlung im Vergleich zu unseren glaenzenden, kugelrunden und trotzdem immer ein bisschen unzufriedenen Schosskaetzchen daheim. Ihre Schoenheit kommt von der Geschichte, die sie zu erzaehlen haben. Wie eine wettergegerbte Abenteurerin, wie ein faltiger Kneipenwirt, wie jemand, der einfach hart und aus dem Vollen gelebt hat. Auch ich moechte mir kuenftig weniger Gedanken um Aeusserlichkeiten machen. Die Musik spielt ohnehin anderswo: Im Funkeln der Augen, in der grossen Sehnsucht nach der Welt, in den Sommersprossen auf der Nase. Und ja, auch in den Zahnluecken, in den Narben, in den abgerissenen Ohren. Leonard Cohen sang: „There’s a crack in everything, that’s where the light gets in.“ Ich liebe diese Textzeile und die Haltung dahinter.

Du bist nicht allein

Die Strassenkatzen sind natuerlich Stars unter den reisenden Frauen. In allen Geschaeften kann man hier Leckerlis und Futter kaufen, und auch die Hotelangestellten versorgen ihre Schuetzlinge mit Wasser und Essensresten. Wer im Restaurant isst, laesst ab und zu mal – ups – ein Haeppchen fallen. Irgendwie sorgen alle gemeinsam fuer die Tiere hier, zumindest fuer die, die sich rund um die Hotels, Restaurants und Straende angesiedelt haben. Und dann sind da noch ihre Kumpaninnen und Kumpanen, ihre Schwestern und Brueder, ihre Muetter und Toechter. Hier sieht man oft ganze Rudel, die gemuetlich zusammen in der Sonne liegen und die irgendwie alle aehnlich aussehen, so als ob sie einer erweiterten Grossfamilie entstammen wuerden. Im Verbund zu leben hat viele Vorteile, man gibt sich gegenseitig Sicherheit, sorgt gemeinsam fuers Futter, zieht die Jungen auch gemeinsam gross. „It takes a village“, lautet ein Sprichwort. Und alleine ist der Weg durchs Leben auf jeden Fall beschwerlicher.

Die besten Dinge sind gratis

In der Sonne liegen, einem Stueck Muell hinterherjagen, das vom Wind ueber die Strasse geweht wird, sich genuesslich putzen – auch wir Menschen haben Dinge, die dem entsprechen und die wir kostenlos geniessen duerfen. Wir sind durch Social Media und die vielen neuen Trends, die es dort gibt, so gepolt darauf, zu konsumieren, dass wir diese Form des kostenlosen Gluecks fast verlernt haben. Ich moechte wieder mehr Ausschau halten nach den bescheidenen Freuden des Lebens.

Das Leben findet offline statt

Mehr gibt es dazu eigentlich gar nicht zu sagen.

Hinterlasse einen Kommentar

Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

dezembra.BLOG DURCHSUCHEN