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#psyche: Die Erwartungslose

** Ein Text ohne Umlaute: Diesen Text habe ich auf einer zypriotischen Tastatur geschrieben, das heisst, er enthaelt keine Aes, Oes, Ues oder SZs – und vermutlich einige Tippfehler. Da ich momentan keinen Zugang zu einer deutschen Tastatur habe, hoffe ich, Ihr seht es mir nach und gebt mir ein Extra-Sternchen fuer Engagegement. ;) **

Danke fuer Eure vielen Nachrichten zu meinen letzten beiden Texten hier aus Zypern. Ich freue mich immer so sehr, wenn ich durch solche kleinen, aber sehr persoenlichen Texte in Kontakt mit Menschen komme, die sich dann oft selbst oeffnen und von sich erzaehlen. Freunde und Fremde – das ist fuer mich der Zauber des Schreibens und die Wichtigkeit davon, sich ehrlich zu machen.

Ein Aspekt aus meinem letzten Text ueber die zypriotischen Strassenkatzen haengt mir noch nach. Naemlich der, dass Schoenheit fuer mich eigentlich vor allem in ihren Bruechen sichtbar wird. Ich jage nicht nach Perfektion, bei Menschen sowieso nicht, aber auch nicht bei Dingen. Klar bedeutet „perfekt“ ja ohnehin fuer jeden Menschen etwas Anderes. Und auch das Streben nach Perfektion beziehungsweise die Erwartung der solchen ist bei allen Menschen unterschiedlich ausgepraegt. Meine gute Freundin zum Beispiel sucht gerade nach der perfekten Kueche – und als ich zu bedenken gab, dass sie das Perfekte wahrscheinlich nicht finden wird, gab sie zurueck: „Doch, davon gehe ich schon noch aus.“

Nun, ich gehe nie davon aus. Einfach, weil ich nicht daran glaube, dass es etwas oder gar jemanden gibt, der alle Aspekte, alle Beduerfnisse erfuellen kann. Ehrlich gesagt suche ich bei der Auswahl „meiner“ Menschen und Dinge gar nicht danach, moeglichst viele meiner Kriterien zu erfuellen. Das, was mich fasziniert an Menschen und Dingen gleichermaßen liegt weit ab von meinen eigenen Ansprüchen. Im Dazwischen, in der Zerrissenheit, im abgerissenen Ohr der Strassenkatze, wenn man so will. Das entscheidet das Schicksal, das die Karten austeilt.

„I love unmade beds. I love when people are drunk and crying and cannot be anything but honest in this moment, I love the look in people’s eyes when they realize they ‚re in love. I love the way people look when they first wake up and they’ve forgotten their surroundings. I love the gasp people take when their favorite character dies. I love when people close their eyes and drift to somewhere in the clouds. I fall in love with people and their honest moments all the time. I fall in love with their breakdowns and their smeared makeup and their daydreams. Honesty is just too beautiful to ever put into words.“ (Quelle unbekannt)

Ich neige dazu, mich zu Dingen hingezogen zu fuehlen, die so gar nicht dem entsprechen, was ich als fuer mich perfekt definieren wuerde. Sondern vielleicht das genaue Gegenteil sind. Aber das ist egal, Hauptsache, es knistert, brennt, ist charismatisch, exzentrisch. Wo immer ich diesen grandiosen Moment der Faszination finde, bin ich bereit, viel auf mich zu nehmen, um Dinge und Beziehungen fuer mich gangbar zu machen.

Zum Beispiel das eigentlich zu kleine Haus. Zum Beispiel Second-Hand-Kleidungsstuecke, die nicht richtig passen, die aber doch so toll und einzigartig sind, dass ich sie kaufe und niemals trage, aber im Schrank liebevoll bewundere. Unpraktische Handtaschen. Unbequeme Schuhe. Hauptsache interessant. Wenn etwas einzigartig und ein bisschen schraeg ist, bin ich dabei. Gegen alle Vernunft.

Sich selbst überraschen

Ich weiß, dass das mindestens unklug ist, weil es so etwas Zufaelliges hat, so ein Ueberraschungsmoment. Meistens landet man, wenn man Lebensentscheidungen so trifft, naemlich nicht dort, wo man hinwollte.

Dass ich nicht nach Perfektion suche, sondern ziemlich lustorientiert entscheide (ich habe schon mehr als einmal ein Sofa oder Schraenkchen gekauft, obwohl ich keinen Platz dafuer hatte) ist familiaer bedingt, wuerde ich sagen.

Meine Mutter naemlich ist eine konfuse Nonperfektionistin. Für sie heiligt der Zweck quasi immer die Mittel. Sie benutzt zum Beispiel stets die falschen Glaeser. Wasser trinkt sie aus einem gerippten Glas, gespritzten Apfelwein aus einem Wasserglas, auch wenn das Gerippte daneben im Schrank steht. Und den Verdauungsschnaps, kein Spass, gab es auch schon mal aus einem Eierbecher, als nicht genug kleine Glaeschen da waren. Sie macht das nicht absichtlich, auch nicht aus Rebellion heraus, sie erkennt einfach die Konvention nicht, es so zu machen, wie andere es als richtig definiert haben. Und das zieht sich durch ganz viele Bereiche ihres Lebens. Eine Konventionentaubheit, wenn man so will.  Vielleicht macht sie es sich dadurch schwerer, vielleicht nicht, aber jedenfalls geht sie nicht den direkten Weg. Und das hat sie mir vorgelebt.

Meine Glaswahl habe ich meist unter Kontrolle, anders als meine Partnerwahl. Die war schon immer eher Rock’n’Roll aus dem Bauch heraus als zielgerichtet. Es gibt ja Paare, die einander nach einer Art Checkliste ausgesucht haben. Aehnliche Vorstellungen vom Zusammenleben: Check. Aehnliche Urlaubspraeferenzen: Check-check. Aehnliche Aesthetik – auch das kann sehr wichtig sein: Check. Und aehnliche Hobbies, Sportarten und sowas: Fuer viele sehr wichtig. Ich habe das nie getan, ich fand es immer wichtiger, dass jemand ein interessanter Gespraechspartner ist als dass wir unterm Strich gut zusammenpassen. Das fuehrte dazu, dass ich so etwas „Profanes“ wie das Abklopfen auf aehnliche Lebensvorstellungen fast schon kleinbuergerlich spiessig fand. Und ohne Erwartungen wird man auch nicht so leicht enttaeuscht …

Aber vielleicht habe ich es mir damit auch schwer gemacht. Vielleicht hat das auch etwas mit Anspruechen zu tun. Ich brauche keine Perfektion, aber ich darf Gutes für mich wollen, das zu mir passt. Menschen und Dinge. Vielleicht sollte ich mir erlauben, anspruchsvoller zu sein als bisher. Dinge zu haben, die sich gut anfuehlen, Kleidung zu kaufen, die passt und haelt. Mit 42 habe ich mir das Recht erarbeitet.

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Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

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