// dezembra.blog

#lifestyle: Das ultimative Ziel

Immer mal wieder werde ich gefragt, wann ich mein nächstes Buch schreibe. Im Grunde könnte ich damit anfangen, ich habe Story und Titel längst schon im Kopf. Aber wann immer ich daran denke, frage ich mich: Welche neue Erfahrung würde das für mich bereithalten? Ich habe drei Bücher veröffentlicht, bin dreimal fast verrückt geworden vor Freude beim Unterzeichnen des Verlagsvertrags, habe dreimal mit rasendem Herzen meine Autorinnenexemplare zum ersten Mal in der Hand gehalten. Habe in allen möglichen kleinen und auch größeren Locations gelesen, in Frankfurt, Stuttgart und Berlin, in Kelkheim, Niederbrechen, Eschborn, in Eventlocations, Stadtbibliotheken, Gemeindezentren und Wohnzimmern. Meistens zum Glück mit Micha, denn ich leide unter schrecklichem Lampenfieber und brauche ihn mehr noch als zum Musizieren als Halt auf der Bühne. Ich habe signiert und geworben, habe Interviews gegeben und war sogar mal im Radio mit einem Buch. Und ich habe die süßesten Menschen getroffen, wirklich.

Gefühlte tausend Auftritte und tausend Frisuren später kann ich immer noch nicht sagen, ob dieser kleine Fame für mich die Erfüllung bereitgehalten hat, die ich mir davon erhofft habe. Fest steht, es war verrückt, jedesmal. Anstrengend-wunderbar verrückt. Aber die Frage bleibt doch: Wofür noch ein viertes Mal? Und wenn ich nicht noch ein Buch veröffentliche – was ist dann eigentlich mein nächstes großes Ziel?

Meine Freundin J hat mich das vor kurzem gefragt. Was zum jetzigen Zeitpunkt meine großen Träume sind. Sie benutzte dabei das Wort „noch“, was mich immer irritiert, weil es so aufs Lebensende verweist. Aber es stimmt ja – welche großen Träume habe ich noch? Was möchte ich noch tun, erleben, verwirklichen, bevor ich sterbe? Wir hatten vor einiger Zeit mal diese tolle Aktion „Before I die“ bei uns in Frankfurt, die fragte genau das – und Menschen konnten ihre Antworten auf eine Tafel schreiben. Die Beiträge waren sehr unterschiedlich, das hat mich damals sehr beeindruckt. Reiseziele, den Kontakt zu einem Menschen wieder aufnehmen, etwas lernen. Auffällig: Materielle Wünsche standen dort fast gar nicht drauf. Und das hat natürlich gute Gründe.

Was würde ich heute dort aufschreiben? Ab einem gewissen Alter ist diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten. Als ich gestartet bin, hatte ich zwei Träume. Einen Roman veröffentlichen und irgendwann selbst ein Haus besitzen. An beidem habe ich entschlossen gearbeitet, beides habe ich erreicht. Beides hat mich in dem Moment des Erreichens glücklich gemacht, nachhaltig war es aber kein Abschluss – ich wollte trotzdem noch weiter, war trotzdem nicht final zufrieden, das jetzt geschafft zu haben. So ein bisschen so wie in dem schönen Miley-Cyrus-Song „The Climb“, in dem es heißt:

„There’s always gonna be another mountain
I’m always gonna wanna make it move
Always gonna be an uphill battle
Sometimes I’m gonna have to lose
Ain’t about how fast I get there
Ain’t about what’s waiting on the other side
It’s the climb“

Und jetzt? Was antworte ich auf die Frage, welche großen Träume ich noch habe? Ich träume weder von einer eigenen Familie, noch von einer großen Hochzeit. Ich brauche kein schickes Auto und keine Designerhandtasche (habe ich mal gewollt und mir vor Jahren selbst eine gebrauchte Louis Vuitton mit klassischem Monogramm gekauft, hat mich aber auch langfristig nicht glücklicher gemacht als jede andere Tasche).

Klar will ich noch weiter klettern. Aber vielleicht habe ich keine großen Träume mehr, die es zu erfüllen gilt. Und vielleicht ist das gerade das, was diese bestimmte Phase im Leben ausmacht.

Ich bin nicht mehr getrieben. Ich möchte nur noch glücklich sein in dem Alltag, den ich mir endlich so aufgebaut habe, dass er sich richtig anfühlt. Gut in meinem Job sein, finanziell über die Runden kommen, irgendwann wieder bisschen was zur Seite legen können, wenn die anstrengende Zeit der Doppelbelastung mit Haus und Wohnung vorbei ist. Und Reisen, so viel es geht. Am liebsten mit dem Mann an meiner Seite. Und da ist es eigentlich fast schon egal, ob das Ziel Südafrika oder ein Weindorf an der Mosel ist. Aber ja, ich habe eine Bucket List auf meinem Handy mit den Orten, die ich noch besuchen möchte.

Ist es okay in unserer Gesellschaft, in der man immer nur entschlossen und fleißig nach vorne schaut, nicht mehr weiter aufs nächste große Ziel hinzuarbeiten, sondern sowas wie ein Angekommensein zu spüren? Meine Freundin A hat schon vor Jahren auf die Frage, was ihr Ziel im Leben ist, gesagt: „Ich möchte einfach glücklich sein.“ Ich meine, das ist nicht wenig, im Gegenteil. Vielleicht ist es die Summe aller Teile, das ultimative Ziel, für das alle anderen Ziele vorher erreicht worden sein müssen – irgendwann wunschlos glücklich zu sein. Oder? Was sind Eure großen Noch-Ziele?

Und PS, ja, ich weiß sehr wohl, dass das Leben oft seine eigenen Pläne macht. Dass in dem Moment, in dem man sich aus solchen Überlegungen zurückzieht, oft ganz fatastische Dinge passieren, die einen in die nächste Kurve, den nächsten Looping dieser Reise schießen, so dass man nichts mehr selbst in der Hand hat, sondern nur noch mitfährt. Das war in diesem Jahr so, und natürlich darf es wieder passieren. Lassen wir uns überraschen.

Und PPS: Die Frage nach großen Träumen darf sich überhaupt nur stellen, weil ich und wir wahnsinnig privilegiert sind. Das sehe ich hier in Südafrika jeden Tag. Wer andere Startvoraussetzungen hat, hat andere Wünsche, ein Dach über dem Kopf, Bildung, genug zu Essen. Das muss immer mitgedacht werden.

Eine Antwort zu „#lifestyle: Das ultimative Ziel”.

  1. Spannende Frage. Ich mag das Wort „große“ Träume jedoch nicht, es wirkt, als müssten die Träume was hermachen?! Ich hab vor einigen Jahren für 21 Tage ein Wünschetagebuch geführt, um dem auf die Spur zu kommen, nach was ich mich sehne. Es kamen auch Dinge wie: „ich möchte mich zu der Frau entwickeln,die ich sein will.“ „Ich wünsche mir Leichtigkeit.“ Eher also Träume, die die eigene Persönlichkeit betreffen, als die äußeren Wünsche… vll als Anstoß für deine Lebensphase?

Hinterlasse einen Kommentar

Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

dezembra.BLOG DURCHSUCHEN