
Gestern habe ich zum ersten Mal seit langem wieder mit Björn über dieses ganze Ich-kann-mich-nicht-ausruhen-was-zur-Hölle-ist-eigentlich-mit-mir-los?-Thema gesprochen. Wir waren einkaufen, im schlimmsten Ostersamstagsstress, und noch bevor wir den Aldi-Parkplatz verlassen hatten, kam das Gespräch irgendwie darauf. Ich schilderte ihm also das, was ich hier immer in epischer Breite erzähle. Und er sagte:
„Naja, du müsstest halt einfach mal öfter Sachen tun, die dir Spaß machen.“
Das klingt so dermaßen profan, dass es fast weh tut. Und doch trifft es in seiner Einfachheit den Punkt des ganzen Problems. Ich glaube, ich tue zwar Dinge, von denen ich weiß, dass sie mir Spaß machen, doch ich genieße sie nicht, ich empfinde den Spaß nicht. Während ich durch den Instagram-Feed scrolle, denke ich: Lies doch lieber was Sinnvolles. Lese ich ein Buch, denke ich: Du solltest lieber selbst was schreiben. Schreibe ich einen Text für meinen Blog, denke ich: Schreib doch lieber an einem neuen Buch – immerhin warst du mal sowas wie eine Schriftstellerin.
Egal, was ich tue, ich habe das Gefühl, ich könnte in der Zeit auch etwas Besseres machen. Ich sollte, müsste etwas Besseres machen. Denn genau wie die Lebenszeit jedes Menschen ist auch meine begrenzt – und deshalb verabscheue ich sinnlose Zerstreuung, weil sie Zeitverschwendung ist. Krass, das mal in dieser Deutlichkeit zu schreiben, aber so fühlt es sich für mich an. Ich bin überzeugt davon, dass ich die mir gegebene Zeit bestmöglich investieren muss. Daraus muss nicht immer etwas Bahnbrechendes entstehen, ich muss nicht andauernd kreativ sein. Aber mein Kopf, mein Über-Ich, nennt es, wie Ihr wollt, sagt mir, dass ich jede Situation bestmöglich nutzen muss, damit ich am Ende des Tages, am Ende des Lebens nicht traurig bin, meine Zeit sinnlos vergeudet zu haben.
Ist ja auch kein Wunder, immerhin sind wir ja alle Kinder eines effektiven Jahrtausends, in dem es gilt, keine Zeit zu verschwenden. Denn wir haben eine überwältigende Auswahl an Medien, die es zu konsumieren, Freizeitvergnügen, die es zu erleben und Kontaktoptionen, die es zu nutzen gilt. Das alles ungenutzt verstreichen zu lassen wäre doch total Banane, oder? Dazu bauen wir uns eine Karriere auf, quetschen vielleicht noch irgendwo die Gründung einer Familie hinein und greifen in jeder unverplanten Sekunde zum Handy, damit kein Leerlauf entsteht.
Das kann einen schon mal stressen, auch wenn man das mittlerweile nicht mehr als echten Stress empfindet.
Zu mir sagt mein innerer Antreiber ungefähr Folgendes: „Du darfst nicht den ganzen Sonntag auf der Couch mit Netflix vergammeln, wenn zugleich draußen die Bäume blühen und die Frühlingssonne scheint, wenn du dein Französisch per Fernkurs auffrischen oder dich bei Gymnondo einer Sommerfigur entgegenarbeiten könntest. Am Ende bist du wieder unzufrieden, weil du bei all diesen Dingen nicht weitergekommen bist – dann will ich aber kein Geheule hören.“ Natürlich vergammele ich den Tag trotzdem manchmal, sogar häufig – aber ich erlaube mir nicht, diese Zeit zu genießen. Stattdessen fühlt es sich an wie ein einziges großes Versagen, wie lauter ungenutzte Möglichkeiten.
Und während ich gammele, schaue aus dem Fenster und bin doppelt unzufrieden, weil die Leute dort draußen vermeintlich alle wissen, was sie tun – aber ich weder richtig draußen, noch richtig drinnen bin. Was für ein furchtbares Dilemma.
Ist das schräg? Sehr wahrscheinlich. Ist es wahr? Hell yes.
Ja, ich weiß, dass es vielen von Euch auch so geht. Ich bekomme immer wieder Mails und Kommentare zu meinen Texten, die mir das vor Augen führen. Aber trotzdem kreise ich da noch zu sehr um mein eigenes Elend. Dabei ist es ein großes Problem, das vielleicht sogar unsere gesamte Gesellschaft betrifft. Wir sind eine Generation von Enttäuschten, weil es uns niemals gelingen wird, alles zu tun, was wir eigentlich gern tun würden – und was wir laut Medien, Werbung und Karrierecoaches tun sollten, damit wir unser Leben als erfüllt ansehen dürfen. Dabei kann das gar nicht klappen, egal wie sehr wir uns anstrengen, weil kein Mensch so viel Zeit und Lebensenergie hat. Das produziert hintergründigen Stress, weil wir gerne mithalten wollen und es nicht schaffen. Und uns deshalb schuldig fühlen.
Zu diesen medial geschaffenen Erwartungen kommen auch noch unsere eigenen Lebensdrehbücher. Ich habe da dieses kindliche Bild von mir, diese Idee einer erwachsenen Anne. Diese Anne schreibt wie eine Besessene, am besten nachts und in den frühesten Morgenstunden, ist eine erfolgreiche Autorin, geht in ihrer freien Zeit ins Museum, ist sportlich und erwachsen und selbstbewusst und so, wie sie sich in ihrer Kindheit ihr späteres Leben vorgestellt hat. Die Krönung-Light-Frau, falls Ihr „Frankfurt liebt dich!“ gelesen habt.
Mein echtes Leben ist super und zufrieden und schön, aber ich glaube, es ist safe zu sagen, dass es kein Krönung-Light-Yuppie-Leben ist.
Ich wohne nicht in einem Loft in der City. Ich habe keine Designer-Klamotten (es sei denn, man zählt Bonprix zu den Top-Marken *g*). Ich fahre kein kleines türkisfarbenes Cabrio. Ich habe keinen perfekten Partner, nur einen, der häufig genauso verloren ist wie ich selbst.
Ich erfülle meine selbstgesteckten Erwartungen von damals nicht, und ich erfülle meine heutigen Erwartungen nicht. Trotzdem treibe ich mich innerlich permanent an, in der Hoffnung, bald an den Punkt zu kommen, an dem die Erwartungen erfüllt sind und ich mich endlich mal zurücklehnen kann. Es fühlt sich immer an, als sei dieses perfekte Leben nur noch einen Schritt, einen besseren Job, einen weiteren grauen Blazer und eine neue Handtasche weit entfernt.
Zwei Stressquellen, zwei Enttäuschungsherde, mindestens zwei Gründe, verdrossen und gestresst zu sein. Und das, was wir real schon erreicht haben, nicht würdigen zu können.
Und was jetzt? Wir sollten unseren inneren Kompass neu ausrichten und auf die Probe stellen. Vieles von dem, was wir glauben, tun und schaffen zu müssen, beruht auf falschen Prioritäten. Ich für meinen Teil werde versuchen, Björns Rat anzunehmen und einfach mal das zu tun, was mir Spaß macht. Und zwar ohne, dass es mich unbedingt in die eine oder andere Richtung weiterbringen muss.






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