#psyche: Vielleicht will ich keine Kinder – na und?

Ich bin 37. Und ich habe keine Kinder. Das ist bei mir keine prinzipielle Sache. Es ist nicht so, dass ich keine Kinder will. Aber es ist auch nicht so, dass ich welche will. Ich habe momentan kein Bedürfnis danach, und es ist sehr gut möglich, dass das so bleiben wird. Mir gefällt mein Leben mit Björn, wie es ist. Ich will arbeiten, reisen, schreiben und leben, ich will frei sein, nach meiner eigenen Uhr ticken und ganze Sonntage lesend und Kaffeetrinkend im Sessel verbringen. Ich will unsere Katzen streicheln, meinen Kleiderschrank organisieren, stundenlang bei Ebay nach Taschen stöbern, bis spätnachts Netflix schauen, meine Haare färben, täglich Yoga machen und mich mit Ernährungsfragen beschäftigen. Klingt egoistisch? Ist es nicht. Denn diese Zeit gehört mir, es gibt niemanden, der sonst Anspruch auf sie hat. Ich stimme mich mit Björn ab, klar, aber ansonsten muss ich nur mir selbst Rechenschaft ablegen. Und das ist einfach toll. :)

Außerdem wird meine Toleranz, was Lautstärke betrifft, mit zunehmendem Alter immer geringer. Ich hasse laute Musik, ich muss wegschalten, wenn Werbung läuft, ich fühle mich von vielen Geräuschen schnell regelrecht terrorisiert. Das sind schlechte Voraussetzungen, um ein lärmendes, quiekendes, fragendes, schreiendes Kind großzuziehen. Vielleicht ist das sogar der Hauptgrund, warum ich kein Bedürfnis nach einem Baby habe: Ich brauche in meiner Freizeit Stille, denn anders kann ich keine Kraft tanken. Ich liebe meine Nichten, Neffen und Patenkinder sehr, aber zugleich bin ich sprachlos vor Bewunderung, wie ihre Eltern den ständigen Lärm aushalten. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die es schaffen, da ruhig zu bleiben. Und erst recht in der Corona-Zeit, in der die Betreuungseinrichtungen wochenlang geschlossen und die Eltern (vor allem die Mütter) dem Lärm ungeschützt ausgeliefert waren. Ihr habt Großes geleistet!

Da wir mit unseren Katzen und ohne Kind sehr glücklich sind, könnte man meinen, dass alles fein ist. Allerdings komme ich in der letzten Zeit immer wieder in die Situation, dass ich mich erklären muss. Der Tochter meiner Freundin zum Beispiel, die fünf ist – und es offenbar unnatürlich findet, dass ich weder verheiratet bin noch Kinder habe. Und dass ich nicht mal den Anstand habe, wenigstens traurig über meine fehlenden Kinder zu sein!

„Ich glaube, Anne mag keine Kinder“ ist ein Spruch, den ich mittlerweile bei jedem zweiten Treffen von ihr höre.

An Muttertag verkündete sie mir: „Nur die Mamas und Omas bekommen heute Blumen, aber du nicht – weil du so faul warst und keine Kinder bekommen hast.“

Eigentlich finde ich das lustig. Und außerdem befürworte ich es sehr, dass sie den Dingen auf den Grund gehen und Hintergründe verstehen will. Dazu sollten alle Kinder ermutigt werden. Allerdings ist es auch wichtig, dass sie verstehen – gerade Mädchen, aber auch Jungen – dass es eine Wahl gibt, ob man diesen oder einen anderen Weg einschlägt.

Ich habe ihr also erklärt, dass ich Kinder mag und sie sowieso – aber dass es Frauen gibt, die Mamas sind, und Frauen, die am liebsten „Tante“ sein wollen. Ihre Mimik verriet mir allerdings, dass sie das kaum glauben mochte. Ihr schien nur eine Frage durch den Kopf zu gehen: Wollen denn nicht alle Frauen Mamas sein?

Ich erkläre mir diese kindliche Weltsicht so, dass viele Mädchen und Jungs gerne mit Puppen spielen. Sie imitieren ihre Eltern, sie spielen Seitenwechsel, der Puppe gegenüber sind sie die Erwachsenen, die die Verantwortung tragen und bestimmen, was gemacht wird. Diese Vorstellung ist aus Sicht eines Kindes sicher toll, denn Erwachsene dürfen fast alles und sind nicht dauernd mit Verboten konfrontiert wie Kinder. Erwachsen zu sein muss aus Kindersicht der Jackpot sein (ist es ja auch, ich freue mich jeden Tag darüber, meine eigenen Entscheidungen zu treffen). Allerdings setzen Kinder diese Entscheidungsgewalt über das eigene Leben mit der Entscheidungsgewalt über ein Kind gleich. Kind und Erwachsener bilden im gespielten kindlichen Rollenwechsel ein Gespann. Erwachsensein ohne Kind macht hier wenig Sinn, denn über wen sollte man dann bestimmen dürfen?

Hochzeit und Elternschaft werden Kindern von kleinauf als Insignien des Erwachsenenlebens präsentiert.

Die Traumhochzeit, bei der die Braut aussieht wie eine Prinzessin, die große Liebe, das vollkommene Glück, wenn endlich ein Baby kommt – dieses Traumbild der perfekten Familie kennen doch viele Kinder aus Märchenbüchern und Disney-Filmen. Wenn jemand sich freiwillig gegen das entscheidet, was viele kleine Mädchen (und Jungen) so sehnsüchtig herbei sehnen, dann kann mit ihr oder ihm doch irgendwas nicht stimmen. Oder doch? Die Mimik der Tochter meiner Freundin zeigt mir jedenfalls, dass mein fehlendes Streben nach diesem perfekten Glück sie misstrauisch macht.

Ich finde, hier sind die Eltern und wir als Gesellschaft gefragt. Wir sollten Kindern von kleinauf zeigen, wie viele unterschiedliche Lebensentwürfe es gibt – und dass sie alle toll sind. Denn da ist ja nicht nur die „Tante“, die kein Kind hat, sondern da gibt es auch lesbische und schwule Elternpaare, Patchworkfamilien, alleinerziehende Mütter und auch Väter, Kinder, die bei ihren Großeltern aufwachsen, die adoptiert sind oder die abwechselnd bei Mama und Papa wohnen, die in einem Kinderheim leben oder meinetwegen mit einem Zirkus durch die Lande ziehen. Die Welt ist wunderschön bunt – und kaum eine Familie gleicht der anderen. Dieses steife Vater-Mutter-Kind-Prinzip ist einfach überholt, deshalb sollten wir Kinder dringend dazu ermutigen, die Augen aufzumachen und die Vielfalt zu sehen.

Eine erwachsene Frau ohne Kinder ist doch nichts Exotisches. Wenn Kinder das heute immer noch so empfinden, ist es an uns, bei der Toleranz-Erziehung nachzubessern. Oder wie seht Ihr das?

9 Kommentare

  1. Du hast absolut Recht (sagt ein pansexueller Mann, der mit einer transidenten Frau leiert und in dieser kinderlosen Beziehung sehr glücklich ist)!

  2. Du hast deine Gründe, die gegen ein Kind – oder sogar mehrere – sprechen. Und es sind gute Gründe. Wenn es doch in dieser Welt mehr von deiner Sorte „engagierte Tante“ gäbe als von der Sorte „Mein Haus, mein Boot, mein Kind!“

  3. Hi, ich bin die Falsche, um dir da gut antworten zu können. Nach 10 Jahren Kinderwunsch habe ich nun meine zwei Jungs 😀. Klar, gibt es andere Lebensentwürfe, aber das Ideal bleibt Vater, Mutter, Kind(er). Alles andere muss erklärt werden. Darum haben es Regenbogenkinder irgendwann schwer, obwohl Kinder in der Regel toleranter sind als Erwachsene. Jeder, der von der Norm abweicht, hat es schwer. Hätte es damals mit meinem ersten Sohn nicht geklappt, hätte ich es eher hinnehmen können als beim Zweiten. Da weiß man einfach nicht, was man alles verpasst. Diese Kleinigkeiten: morgens das erste Lächeln, die Entwicklungsschritte, Spielzeug, Kleiderauswahl etc. Das bekommt man als Außenstehende nicht mit. Ich finde nur die Frauen blöd, die mit über 40 einen Kinderwunsch entwickeln und sich dann wundern, dass es nicht klappt. Das Geld geht dann in künstliche Befruchtung, Eizellspende oder (schlimmstenfalls) Leihmutterschaft, weil nun mal Adoption schwierig ist und Pflegekinder meistens einen Schlag weg haben. Darum, jede wie sie will, dann aber auch bitte mit den Konsequenzen leben. Wir sind zwar schon toleranter geworden, komisch angeschaut wird man auch weiterhin werden. Ich erziehe meine Söhne tolerant, ziehe sie deswegen aber nicht rosa an.

    1. Verstehe ich nicht bzw. die Intoleranz verstehe ich nicht – warum sind Frauen über 40 blöd, wenn sie dann Kinder wollen bzw. ein Kinderwunsch entsteht? Es gibt so viele unterschiedliche Arten zu leben und warum soll die eine Art zu leben besser oder schlechter sein, als eine andere Art zu leben? Vllt. war es besagten Frauen vor 40 nicht möglich einen Kinderwunsch zuzulassen! Vielleicht haben besagte Frauen ein schweres Schicksal erlebt, von dem du anscheinend mit deiner Meinung verschont geblieben bist. Vielleicht denkst du über so etwas nochmal nach. Solche Worte sind leider übergriffig, verletzend und absolut unnötig!
      Und warum genau tragen deine Söhne kein rosa? Wenn einer von ihnen das nun gewollt hätte und sich dir einfach nur anpasst, um der Mama zu gefallen und geliebt zu werden?
      Wirklich schade all das. Meine Buchempfehlung für dich von Cordelia Fine: Die Geschlechterlüge: Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann.
      Vor manchen Dingen sollte man nicht die Augen verschließen, um Leid zu vermeiden, zumindest bei den Menschen, die man liebt.

      1. Hallo, ich glaube, ich habe mich da ein bisschen falsch ausgedrückt. Darum hier meine Meinung in Kürze: Jede wie sie will, nur muss sie dann mit den Konsequenzen leben. Mein Sohn muss und will nicht rosa anziehen. Wäre er transgender ist das eine andere Geschichte.

  4. Ich bin auch 37 und sage dir ehrlich, wenn mein Kind nicht einfach so (ohne Planung) entstanden wäre – hätte ich heute keins. Sehe es wie du, aber nun kann ich auch schöne Seiten am ElterDasein sehen. Dennoch bin ich ein Typ Mensch, der auch die Zeit für freie Wochenende liebt und ich hätte auch sehr gut ein Leben ohne Kind leben können.
    Habe mich seit einigen Jahren, aufgrund meiner Einstellungen, mit Normalitätsvorstellungen zu Mann sein, Frau sein, Elternteil sein, Kind sein usw. auseinandergesetzt. Ich finde es sehr traurig, dass deine Nichte (wenn ich es richtig verstanden habe) anscheinend die ganze Soße des heteronormativen Weltbildes mit Frau sein, Mutter sein usw. aufgetischt bekommt. Und ja, das entsteht leider nicht einfach so, sondern durch Eltern, soziales Umfeld usw. Kinder befinden sich hier auch immer nur in der Mittler*innenrolle und zeigen offen und ehrlich, was das soziale Umfeld so denkt (und vllt. aus Anstand nicht ausspricht)! Ich finde es toll, dass Du so dazu stehst und dem ganzen Schauspiel etwas entgegensetzt! Chapeau!

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