#liebe: Was unterscheidet Indian Matchmaking eigentlich von Online-Dating?

Foto: Raj Rana on Unsplash

Wer von Euch hat auf Netflix schon die Mini-Serie „Indian Matchmaking“ gesehen? Darin hilft Kupplerin Sima Taparia indischstämmigen Singles in Indien und den USA, den passenden Ehepartner zu finden. Sie alle sind jung und attraktiv, viele stammen aus wohlhabendem Elternhaus und waren auf hochkarätigen Universitäten. Man könnte meinen, dass dies genau die Menschen sind, die auf dem Single-Markt begehrt sind. Und doch tun sie sich schwer mit der Partnersuche. Die Gründe sind vielfältig: Einige werden auf der Suche nach einer ernstzunehmenden Beziehung in der oberflächlichen Dating-Welt immer nur enttäuscht, andere suchen einen Partner mit einer bestimmten Ethnie, wieder andere wollen sich eigentlich gar nicht binden und viel lieber weiter ihre Freiheit genießen.

Häufig wird die Kupplerin von den Eltern des Singles bestellt. Denn offenbar ist der gesellschaftliche Heiratsdruck in der indischen Community enorm.

Wer mit Mitte 20 noch nicht verheiratet ist, muss sich ranhalten, um noch jemanden abzukriegen. „Auntie Sima“, wie die Matchmakerin von ihren Kundinnen und Kunden liebevoll genannt wird, hat deshalb ein gut gefülltes Auftragsbuch. Sie reist kreuz und quer durch Indien und Amerika, um ihre Klientinnen und Klienten und deren Familien persönlich kennenzulernen. Denn alle Singles in Auntie Simas Datenstamm sind handverlesen. Wer von ihr aufgenommen wird, darf sich bald darauf auf wenige, aber sehr zugeschnittene Partnervorschläge freuen. Dafür gleicht Sima nicht nur die Vorlieben und Werte der Heiratswilligen ab, sondern holt auch die Meinung von Gesichtslesern und Astrologen ein.

Die Grundvoraussetzungen stimmen also, doch darüber hinaus kann Sima natürlich auch nicht zaubern. Kommt es zu einem Treffen zwischen zwei Singles, ist die Überraschung oft groß, wenn auf dem Papier alles passt, doch im echten Leben die Sympathie fehlt.

Foto: Lanty on Unsplash

„Indian Matchmaking“ ist vielfach kritisiert worden – zu sehr ginge es um Hautfarben, Religion, Kasten. Die Sendung sei sexistisch, rassistisch und anti-feministisch. Ein bisschen kann ich das schon nachvollziehen, immerhin wünschen die meisten Teilnehmer sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin völlig unreflektiert vor allem eine helle Hautfarbe und eine bestimmte Körpergröße. Generell werden Menschen dort allzu oft auf ihre Eckpunkte reduziert. So gilt die alleinerziehende Mutter Rupam aufgrund ihrer Tochter und ihrer Scheidung in der indischen Society als nahezu unvermittelbar. Ich weigere mich, zu glauben, dass eine ganze Gesellschaft so oberflächlich sein soll.

Und das mit der Body-Positivity haben die Kupplerin und ihre Kollegen auch noch nicht so ganz raus.

Die hübsche, nur ganz bisschen mollige Modedesignerin Ankita aus Delhi wird mehrmals als „unfotogen“ beschrieben und muss sich anhören, sie solle sich unbedingt dem Mann anpassen, wenn sie sich erfolgreich verheiraten wolle. Dass Ankita wunderschön ist und vor Charakter und Humor nur so leuchtet, fällt da mal eben unter den Tisch. Radhika, die ziemlich stille, etwas farblose Braut des verwöhnten Sprösslings Akshay, die nie etwas zu sagen weiß, dafür aber hübsch schlank ist, gilt stattdessen als sehr fotogen, klar.

Sowas geht natürlich gar nicht. Andererseits zeigt die Sendung auch auf, wie unsinnig diese engstirnigen Denkmuster sind. Denn eben jene wunderbare Ankita entscheidet sich dafür, lieber erstmal allein zu bleiben, statt einen faulen Kompromiss einzugehen. Und Singel-Mom Rupam findet von ganz allein auf der Dating-App Bumble einen tollen Mann. Die Sendung hinterfragt sich hier also auch ein bisschen selbst, was ich gut finde.

Foto: Gayatri Malhotra on Unsplash

Früher ging die Idee einer arrangierten Ehe einfach nicht in meinen Kopf. Zwei Fremde, die sich womöglich im Moment der Hochzeit zum ersten Mal sehen, obwohl sie ihr Leben miteinander verbringen sollen – gruselig. Solche Verheiratungen, vor allem auch gegen den Willen von Braut oder Bräutigam, gab es in vielen Kulturen. Doch das, was in „Indian Matchmaking“ als „arrangierte Ehe“ bezeichnet wird, ist alles andere als das. Da gibt es keinen Zwang, jemanden zu heiraten, den man noch nie zuvor gesehen hat – nur weil die Eltern das so wollen.

Mich erinnert das, was dort passiert, eher an Elitepartner, Parship und Co.

Denn auch bei diesen Internet-Datingbörsen nennt man die eigenen Vorlieben und Präferenzen, die dann mit denen potenzieller Partner abgeglichen werden. Das geschieht zwar nicht persönlich wie bei Auntie Sima, sondern durch einen komplizierten Algorithmus, aber am Ende des Tages geht es darum, einen Partner für eine ernstzunehmende Beziehung aufgrund von Gemeinsamkeiten zu finden und Geld dafür zu bezahlen.

Auch Sima führt ja im Grunde genommen nur eine gut laufende und sicher teuer bezahlte Partnervermittlung. Oft lehnen ihre Singles bis zu 100 Vorschläge ab, bis eine oder einer dabei ist, die oder der auch nur für ein Treffen infrage kommt. Wenn das erste Treffen gut läuft, folgt ein Zweites, Drittes, Viertes – und irgendwann vergleichsweise schnell eine Hochzeit, denn ums Heiraten geht es ja schließlich. Doch wenn die Sympathie fehlt, sieht man sich einfach nicht wieder. Denn bei Sima wie bei Parship gilt: Ob es im echten Leben passt, ist bei Online-Dating genau wie bei „Indian Matchmaking“ dem Faktor Mensch überlassen.

„Indian Matchmaking“ hat so wenig mit einer „arrangierten Ehe“ zu tun, dass es von Netflix schon ganz schön dreist ist, diese beiden Dinge miteinander in einen Topf zu werfen. Meiner Meinung nach handelt es sich bei der Sendung um massentauglich aufbereitete Folklore, die zwar unterhaltsam anzusehen ist, doch irgendwie sehr weit am Ziel vorbei schießt und ein falsches Bild erweckt.

Würde ich eine zweite Staffel trotzdem anschauen? Ja – weil ich mich ein bisschen in den süßen Highschool-Lehrer Vyasar Ganesan verliebt habe und wissen möchte, wie es für ihn weitergeht (#eifersucht). Allerdings ist es wichtig, das, was dort gezeigt wird, kritisch zu hinterfragen, um dieses falsche Bild zu korrigieren. Es wäre wichtig, dass der Unterschied zwischen der hier gezeigten Partnervermittlung und einer echten „arrangierten Ehe“ in einer zweiten Staffel der Sendung thematisiert würde. In dem Fall wäre gegen ein bisschen Folklore zu Unterhaltungszwecken nichts einzuwenden.

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