
Gestern Abend habe ich die Netflix-Doku „The Social Dilemma“ (2020) gesehen. Dort berichten ehemalige Tech-Entwickler von Facebook, Instagram, Pinterest und anderen sozialen Medien davon, wie die Algorithmen dieser Plattformen funktionieren. Und das muss einem wirklich Angst machen.
Natürlich wissen wir alle, dass zum Beispiel Facebook mit einem Algorithmus arbeitet, der uns bestimmte, auf uns zugeschnittene Informationen vorschlägt. Doch wie weit das geht, ist mir gestern erst bewusst geworden. In der Doku wird nämlich sehr deutlich, dass diese Datenmaschine maßgeblich mitbestimmt, wie wir die Welt sehen, welche politischen Positionen wir für glaubhaft halten und welche Menschen wir als politische Gegner betrachten. Denn weil der Algorithmus ständig dazulernt, schlägt er uns sehr bald nur noch Posts vor, die unseren ohnehin schon geäußerten Interessen entsprechen. Wir fühlen uns in unseren Ansichten, die wir zuvor durch Klicks offengelegt haben, mehr und mehr bestätigt – und verstehen gar nicht, warum die Anderen die Welt nicht genauso sehen wie wir, wo doch alles so offentlich ist. Hallo Querdenker, hallo AfD, hallo Trump-Anhänger. Doch nichts ist offensichtlich. Stattdessen bewegen wir uns in einer Blase, aus der wir uns umso schwieriger befreien können, je länger der Algorithmus uns beobachtet, studiert und vorausberechnet. Und wusstet Ihr, dass die Ergebnisse einer Google-Suche ganz maßgeblich davon mitbestimmt werden, von wo aus auf der Welt wir Google aufrufen? Verrückt.
Die Programmierer in der Doku erklären, wie Social Media unser Gehirn dazu erzieht, immer und immer weiter zu scrollen. Das ist kein harmloses Freizeitvergnügen mehr, sondern eine sehr süchtigmachende Droge. Das merken wir schnell, wenn wir uns zwingen, mal ein paar Minuten oder Stunden nicht aufs Handy zu schauen. Vor Jahren habe ich mal für die Zeitung in der Fastenzeit sechs Wochen aufs Smartphone verzichtet – und war wirklich schockiert, wie oft meine Hand unkontrolliert zur Tasche schnellte, um mal kurz das Handy rauszuholen, das in Wirklichkeit gemütlich ausgeschaltet daheim lag. Das Smartphone ist ein Schnuller für Erwachsene, der uns beruhigt, der jede freie Sekunde füllt und jede Langeweile überbrückt. Zu viele Bilder, zu viele Informationen, zu viel Interaktion und soziale Beurteilung von morgens bis abends – kein Wunder, dass das Gehirn nicht mehr zur Ruhe kommt. Da kann man so viel meditieren, wie man möchte, das lässt sich nicht ausgleichen. Burnout, anyone?
Diese Apps, so formuliert es einer der Entwickler, sind absichtlich so gestaltet wie Glücksspielmaschinen: Wir ziehen das Bild mit dem Daumen oder Zeigefinger nach unten, um den Content zu aktualisieren. Jede Aktualisierung verheißt den einen Glücksgriff, wichtige neue Informationen und Dopamin-Ausschüttung durch Likes, die wie Liebe und Anerkennung empfunden werden. Je länger wir auf Social Media bleiben, mit desto mehr Dopamin können wir uns im besten Fall belohnen.
Und während all das passiert, sind wir mehr oder weniger schutzlos dem ausgeliefert, was uns dort wirklich präsentiert werden soll: Werbung.
Mir ist bewusst, dass es lächerlich ist, deshalb jetzt so aufgebracht zu sein. Irgendwie weiß man das doch alles, oder? Und trotzdem hat es mir nie jemand auf so schmerzhaft-brutale Weise vermittelt wie diese Doku.
Ich weiß, dass mein Instagram-Konsum über die letzten Jahre ins Absurde gestiegen ist – und dass ich selbst zuletzt sehr viel dort gepostet habe. Eigentlich nur für mich selbst, dachte ich immer, weil ich gerne fotografiere und der Welt gerne zeige, was ich so erlebe. Aber wozu eigentlich?
Nach der Doku habe ich Instagram gestern Abend noch von meinem Handy gelöscht. Einfach nur mal so, um zu schauen, wie es mir damit geht. Und siehe da, heute morgen habe ich so viel Zeit vor der Arbeit, dass ich sogar noch diesen Artikel schreiben kann. Mein Konto dort existiert nach wie vor, aber ich werde privat erstmal nichts mehr posten und dort nicht mehr erreichbar sein. Meine Freunde haben ja zum Glück auch zahlreiche andere Wege, mit mir in Kontakt zu treten. Beruflich muss ich Insta mit den Kanälen meines Arbeitgebers übers Diensthandy weiter nutzen, aber das lässt sich zum Glück so gut trennen, dass der Kosmos, in dem ich dann unterwegs bin, nichts mit meinen privaten Insta-Freunden zu tun hat. Bei Facebook sieht die Sache hingegen anders aus, dort muss ich mich mit meinem privaten Account einloggen, um beruflich posten zu können. Allerdings werde ich dabei künftig sehr genau darauf achten, so wenig wie möglich privat mit dem Algorithmus zu interagieren. Also nicht mehr auf irgendwelche Videos klicken, die mir vorgeschlagen werden und so weiter.
Gerne würde ich hören, wie Ihr dazu steht. Habt Ihr die Doku auch gesehen? Und wenn ja, welchen Schluss zieht Ihr für Euch daraus? Und wie steht Ihr generell zu Social Media? Erzählt doch mal. :)
Danke für diesen Bericht. Er ist sicher wichtig, um ein Gefühl dafür zu entwickeln,,in welcher „Welt“ wir heute leben. aber es hängt wohl auch damit zusammen, wie wir selbst die Welt sehen und was wir suchen. Dementsprechend „funktiiniert“ dies „System“. Ich mache mich eigentlich ganz davon frei, meine ich zumindest, lasse mich von nichts anderem leiten als von den eigenen „Ideen“ bzw. den „Lichtblicken“ und „Wegweisungen“.
Das war und ist sicher die allerbeste Art, durchs Leben zu gehen. Darauf möchte ich mich künftig auch wieder konzentrieren – statt mich von einem technischen System manipulieren zu lassen. 😊
Danke, das finde uch richtig gut!🙋💓👏
Ich habe die Doku vor einiger Zeit gesehen und kurz darauf Facebook gelöscht. Ich bin immer noch dabei eine App nach der anderen zu löschen, habe aber gemerkt, dass ich mir bei Insta schwer tue. Du beschreibst das mit dem Schnuller sehr gut!
Danke für den sehr guten Artikel!
Oliver 2.0
Danke für den netten Kommentar. Woran liegt es denn, dass gerade Insta dir so schwer fällt? Ich habe festgestellt, dass das Momentum der Doku wichtig für mich war, um das Löschen durchzuziehen. Wenn ich noch zwei Tage gewartet hätte, hätte ich es vielleicht auch nicht mehr gemacht. Es war eine gute Entscheidung, bisher vermisse ich nichts. :) Viele Grüße.
Gibt ein paar Leute, deren Bilder ich auf Installieren gut finde. Ja das Momentum muss man nutzen. Bei mir geht es aber auch nach und nach. Wie gesagt… schalte eine App nach der anderen ab. Instand steht die nächsten Tage an. :)
Ich persönlich vertrete die Meinung, daß einen nichts süchtig machen kann, solange man sich darüber bewusst ist. Weder Nikotin, noch Alkohol, noch social Media und Co. Aufmerksamkeit Achtsamkeit sich selbst ggü. sind da ein guter Anfang. Wenn man sich selbst ggü zu arg abgestumpft ist, hat jede Art Sucht leichte Bahn. Sucht schafft ja nur Befriedigung an einer bis dahin leeren Stelle.