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#reisen: Schärfer an den Rändern

Wenn ich morgen Mittag in Kapstadt ins Flugzeug steige und mich auf den langen Heimweg mache, war ich einen Monat in Südafrika. Und gerade in den letzten Tagen fange ich wieder an, mich darüber zu wundern. Dass ich immer noch hier bin. Dass ich bald nicht mehr hier bin. Wie normal es sich anfühlen kann, in einem völlig fremden Land vier Wochen lang zu leben. Und wie wenig sich das Leben hier für uns wohlhabende Weiße von dem daheim unterscheidet.

Zwischendrin habe ich darüber gar nicht mehr nachgedacht. Wir haben uns hier einen Alltag eingerichtet, einen Ablauf morgens und abends, eine Dynamik tagsüber, Lieblingsorte, Lieblingsrestaurants, Lieblingsmenschen, Dauereintrittskarten und Dinge, die wir unbedingt noch erledigen müssen. Wir bringen das Auto in die Inspektion, sind bei Leuten zu Hause eingeladen, kochen, kaufen ein, hängen Wäsche auf, räumen die Spülmaschine aus, springen nachmittags in den Pool. Mein Vater lebt seinen Alltag und ich lebe meinen, ohne dass ich mich noch groß darüber wundere, dass wir dabei in Südafrika sind.

Doch gerade am Anfang und am Ende eines solchen Aufenthalts kommt die Verwunderung darüber dann doch zurück. 13.000 Kilometer von daheim entfernt tun wir hier so, als sei es nicht bemerkenswert, in ein fremdes und exotisches Land zu kommen, ein Haus zu kaufen und Wurzeln zu schlagen, wo wir vorher keine hatten.

Während meines Studiums habe ich das ja mal selbst gemacht, ich bin mit jemandem, den ich damals sehr mochte, nach England gezogen und habe mich total hineingeworfen in den Wunsch, in einem anderen Land ein Leben aufzubauen. Wer das macht, lernt ein Land von einer neuen Seite kennen. Abläufe funktionieren anders, in England zum Beispiel zahlte man damals die Umlagen noch persönlich bei der Post mit einem Scheckheft, was ich sehr süß und ziemlich aufwändig fand, ging das doch bei uns einfach per Bankeinzug. Auch hier in Südafrika funktioniert zum Beispiel Strom anders als in Deutschland. In Deutschland verbraucht man erst und zahlt dann, was über dem Abschlag lag, in Südafrika kauft man online Units und braucht sie auf, dann kauft man neue.

Hier in Paarl zu sein fühlt sich nicht unbedingt an wie Urlaub, denn wir sind ja zu Hause und erledigen all die Dinge, die wir auch in Deutschland erledigen müssen. Es ist mehr wie Urlaub auf Balkonien, heute auch Staycation genannt, allerdings in einem tollen Land weit weg mit ganz vielen Möglichkeiten, exotischen Pflanzen und Tieren, strahlend schönem Wetter und superinteressanten Menschen.

Vielleicht vergesse ich deshalb zwischendrin, dass ich gar nicht dort bin, wo ich eigentlich lebe. Weil ich mich so an alles hier gewöhnt habe und anfange, Strecken, Orte, Menschen richtig gut zu kennen. Gestern waren wir nochmal in der Paarl Mall, weil ich noch einige Dinge besorgen wollte, die es daheim nicht gibt – unter anderem eine gemeingefährliche Whitening-Zahncreme. Wir haben nochmal einen Eiscafé bei Mug&Bean getrunken, wo ich im März dauernd mit meinem Bruder war und auch diesmal wieder gefühlt dreimal die Woche, so dass mein Handy sich ganz automatisch mit dem Wlan dort verbindet und wir bestellen, ohne in die Karte zu schauen. Und ich habe, angesichts der Tatsache, dass ich nun abreise, daran gedacht, wie ich vor vier Wochen das erste Mal wieder dort war und mich gefreut habe, zurückzusein. Das fühlt sich an wie eine ferne Erinnerung, und doch bin ich immer noch hier. Verrückt.

Außer in England war ich noch nie so lang in einem anderen Land, und irgendwie macht es etwas mit einem, wenn die Abreise so weit entfernt ist, dass man die Tage nicht zählt. Das geht natürlich nur, weil ich hier bei meinem Vater wohne, das ist absolut klar. Und es ist ein großes Geschenk. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal hier war, waren es auch schon fast drei Wochen, aber wir haben uns sehr bemüht, die wichtigsten Dinge, die man am Western Cape gesehen haben muss, ganz gewissenhaft abzuarbeiten. Mittlerweile sind wir sehr viel entspannter geworden und haben auch einiges von unserer Ideenliste, die ich dauerhaft fortschreibe, nicht gemacht – einfach, weil ich weiß, dass ich bestimmt wiederkommen werde und dann immer noch genug Zeit ist.

Drückt mir die Daumen, dass der lange Flug nicht ganz so schlimm wird. Denn momentan suche ich meine innere Absichtserklärung noch vergeblich.

2 Antworten zu „#reisen: Schärfer an den Rändern”.

  1. Es tut gut, länger mal unterwegs zu sein, so lange, dass Routinen entstehen, sich eine normalität einstellt. Der erste Urlaubs-Hype ist verflogen und man merkt, dass es woanders auch geht. Inzwischen findest du das Duschgel im Supermarktregal, kennst die Bedienung in Café mit Namen und sie dich auch, du machst die ganz selbstverständlichen Dinge eben selbstverständlich und merkst, dass dieser Planet doch nur ein kleine Kugel ist, auf der alle miteinander verwandt sind. Die einen magst du die anderen nicht, eben wie in jedem Dorf.

    1. Stimmt, das tut gut und macht sogar ein bisschen stolz. Trotzdem fehlen einem Abläufe daheim und grade auch liebe Kollegen irgendwann ganz schrecklich. ☺️ Viele Grüße vom Flughafen.

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Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

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