
Gerade hört man in den Corona-Nachrichten immer wieder vom „Nachholeffekt“. Die Einzelhändler hoffen darauf, die Industrie prognostiziert, dass die Bürger die großen Anschaffungen dann eben später tätigen, und die Gastronomen beklagen die Ungerechtigkeit, dass es in ihrer Branche sowas wie einen Nachholeffekt nicht geben wird.
Ich mache mir keine Illusionen – mein privater Nachholeffekt wartet schon. Das habe ich gleich am Montag gemerkt, als mein Lieblingsladen in Kelkheim – ein grandioses Flohmarkt-Kruschelgeschäft – wieder aufgemacht hat. Ich bin natürlich sofort hingeeilt und habe das Doppelte dort ausgegeben wie sonst. Natürlich ganz bewusst. Immerhin möchte ich, dass der Laden auch weiterhin existiert – und da ist es doch das Mindeste, dass ich ein wenig Wirtschaftsförderung betreibe. *g*
In einem anderen Bereich meines Lebens fürchte ich den Nachholeffekt jedoch.
Ihr wisst ja, dass ich dazu neige, mich zu oft zu verabreden. Aufgrund der momentanen Situation konnten nun die allermeisten Verabredungen nicht stattfinden. Dabei habe ich einmal mehr erlebt, wie wundervoll Leerlauf sein kann. Und wie verzichtbar so manches ist. Netzwerker-Abend des Journalistenstammtischs? Jo, dann halt ein andermal. Treffen mit Uralt-Kollegen, von denen die meisten längst andere Wege gehen? Nett, um über frühere Zeiten zu reden, aber nicht überlebenswichtig. Abendessen mit alten Freunden, mit denen ich schon lange nur noch losen Kontakt habe? Schön, aber, wenn ich ehrlich bin, ist der Ausfall auch kein allzu schlimmer Verlust.
Aber er wird kommen, der Nachholeffekt.
Denn all diese Dinge, die jetzt im Marie-Kondo-Style so schön untergegangen sind, sind noch da. Sie werden zurück an die Oberfläche geschwemmt werden – im schlimmsten Fall gleichzeitig. Ein wenig wird es so sein wie im Dezember, nur anders. Denn im Dezember hört man von allen Seiten: „Sehen wir uns nochmal dieses Jahr? WANN?“ Nach Corona wird es sowas sein wie: „Jetzt dürfen wir uns endlich wieder treffen, also wann, wann, WANN?“ Die Verdichtung wird ungeheuerlich sein. Und ehe man sich versieht, stapeln sich die Verabredungen, die Zeit fehlt vorne und hinten, ich fühle mich gestresst und deprimiert und weiß nicht warum.
In solchen Verabredungen, deren Stattfinden als gesellschaftlich notwendig angesehen wird, weil drumherum ein gewisser Zeitrahmen abgesteckt ist, schwingt immer so viel Druck mit. Und das hasse ich. Ich habe keine Lust darauf, mich schuldig zu fühlen, nur weil nach Corona nicht jeder sofort ein Stückchen meiner Zeit, meiner Kraft und meiner Seele wird snacken können.
Aber es wird so kommen, wir alle werden irgendwann damit konfrontiert werden, Ausgefallenes nachzuholen – oder uns bewusst dazu zu positionieren, dass wir mindestens eine Runde aussetzen oder künftig gleich gar nicht mehr teilnehmen werden.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass ich die gesellschaftliche Eigendynamik dieser Pandemie dazu nutzen sollte, mich von einigen Kontakten zu trennen und mich aus einigen Gruppen zu verabschieden.
Denn während des Corona-Shutdown sieht man im Grunde sehr gut, an wem das Herz noch hängt. Mit diesen Leuten gehe ich auch jetzt noch spazieren, ich treffe mich mit ihnen auf der Wiese vor dem Haus zum gemeinschaftlichen Abstand-Halten, ich videochatte und telefoniere – und ja, gelegentlich besuche ich eine Freundin oder einen Freund, wir quatschen, kochen, backen, grillen oder holen was zu essen und sitzen in gegenüberliegenden Ecken des Wohnzimmers, während wir uns doch im Herzen ganz nah fühlen. Ganz ehrlich, alle anderen Kontakte sind guten Gewissens zu vernachlässigen.
Und davon abgesehen möchte ich dieses andauernde persönliche Treffen als ultimative Verkörperung der Freundschaft mal in Frage stellen. Ist das wirklich nötig? Oder ist ein Kaffee zwischendurch mit der liebgewonnenen Kollegin per Videochat oder das unglaubliche Drei-Stunden-Telefonat mit der nach München gezogenen Schulfreundin nicht ab und zu ein zeit- und kostensparender Ersatz?
Was für ein Ansatz- dem ich aus vollem Herzen zustimmen kann, in allen Punkten. Wer mir jetzt fehlt, dem schenke ich gerne Zeit. Und wer nicht, nun ja… ein liebevolles Verabschieden ist in dem Fall auch etwas, das mir in den Sinn gekommen ist! 🙂 und das ist glaube ich gesund. Deinen letzten Absatz finde ich besonders schön: die Freundschaften, die auch nach Monaten Stillschweigen und Nichtsehen so sind, als wäre es gestern, von denen möchte ich mich nicht verabschieden. 🙂🍀🌸
Danke. :) Dieses liebevolle Verabschieden … Wie machst du das? Lässt du die Kontakte im Sande verlaufen? Oder machst du richtig „Schluss“?
Hm… meistens merk ich’s gar nicht bewusst, vergess oft mich zu melden oder zu antworten. 😬😇 des ist oft der Anfang.. und wenn ich des dann bemerk fällt mir manchmal auf, dass ich eigentlich gar net mag, mich melden oder treffen. Dadurch verläuft sich’s. Und ich denk halt gern an die schönen Zeiten dieser Freundschaft, is dann wie ein liebevolles Verabschieden aber still, für mich…
… und manche Freundschaften waren zB wie eingeschlafen, und dann hatte man nach langer Zeit wieder Kontakt und des Treffen war dann cool, so ganz unerwartet und stressfrei. 🙂