
Kennt Ihr es auch, dieses Gefühl, das ich Lockdown-Starre nenne? Wenn ich hier alleine in meinem Wohnzimmer sitze, nur das Klappern der Tastatur, das Rauschen der Autos und das Vogelgezwitscher vor dem Fenster höre, fühlt es sich manchmal so an, als ob ich gar nicht richtig da wäre. In meinem Körper, im Augenblick. Als ob das hier gar nicht mehr die Realität wäre, sondern eine Illusion, irgendeine Blase, die sich um mich herum ausgebreitet hat. Eine Traumebene wie bei Inception. Eine Kulisse, die zwar echt aussieht, es aber nicht ist. Das wirkliche Leben, so fühlt es sich dann an, findet irgendwoanders statt, aber ich bin nicht dabei. Ich bin in Gedanken schon bei morgen, noch bei gestern oder habe mich gleich ganz selbst vergessen, jedenfalls bin ich woanders als hier. Wenn überhaupt, beobachte ich nur, was um mich herum passiert, aber bin kein Teil des Ganzen. Stattdessen höre, sehe und fühle ich vieles nur wie durch eine Glasscheibe, irgendwie gedämpft und stumpf. Macht das Sinn?
Klingt heftig, wenn man es so hinschreibt. Aber ich glaube, viele Menschen kennen dieses Gefühl. Immerhin wabert das Thema Achtsamkeit ja seit Jahren durchs Internet und die Ratgeber-Szene. Dabei geht es darum, durch gezielte Übungen zurück ins Jetzt zu kommen und einfach mal da zu sein, statt in Gedanken immer woanders. Vor zwei Jahren habe ich beim wdv sogar einen Mittagspausenkurs zum Thema Achtsamkeit belegt, der von einer Kollegin angeboten wurde. Das war nett und ein paar Dinge habe ich daraus auch mitgenommen, aber ehrlich gesagt ist das Konzept Achtsamkeit etwas, an das man sich permanent selbst erinnern muss. Und das vergesse ich doch allzu oft.
Die Verbindung zum Hier und Jetzt zu verlieren ist kein reines Lockdown-Phänomen, das gab es schon vorher. Vor der Pandemie waren Stress, Multitasking und Überforderung oft genannte Gründe, heute ist es das genaue Gegenteil. Der Effekt ist der gleiche – und die lange Stille, die Einsamkeit und die immer gleiche Umgebung wirken bei mir wie ein Superverstärker. Die Wände meiner Blase werden jeden Tag ein bisschen dicker und ich jeden Tag ein bisschen tauber.
Deshalb habe ich schon vor langer Zeit für mich selbst einige Tricks gesammelt, die mir dabei helfen, aufzuwachen und wieder zu mir zu kommen, wenn ich merke, dass ich verschwunden bin. Dabei geht es im Grunde immer darum, die eigene Wahrnehmung zu schärfen – etwas für Wahr zu nehmen. Vielleicht könnt Ihr ja etwas damit anfangen oder habt noch weitere Tipps für mich?
- Ein Gummiband am Handgelenk tragen und es schnappen lassen
- In eine Zitrone oder ein Stück Ingwer beißen
- An ätherischem Öl riechen – oder an etwas anderem, das einen intensiven Geruch verströmt. Ich liebe zum Beispiel den starken Duft von frisch gemahlenem Kaffee oder von abgepellten Orangenschalen.
- Mit der Gabel über eine Oberfläche quietschen, bis es dieses kreischende Geräusch gibt
- Kaltes Wasser über die Hände laufen lassen oder etwas Eiskaltes aus dem Gefrierschrank berühren
- Zähne putzen oder mit einem scharfen Mundwasser gurgeln
- Etwas in die Stille hinein sagen oder brüllen, um die eigene Stimme zu hören
- Mit den Fingern fest über die Handfläche der anderen Hand reiben
- Mit den Fingern die Stelle rechts und links mittig vom Nasenrücken massieren und unter den Augen entlang in Richtung Ohren streichen
- Ohrläppchen fest drücken
- Mit den Fingern in Zucker, Sand oder Mehl tauchen und die Konsistenz spüren
- Sich den Kopf mit einer Kopfmassage-Spinne massieren (gibt es zum Beispiel hier – Achtung, Gänsehaut!)
- Alternate-Nostril-Breathing (Anleitung hier) oder hauchendes, stoßweises Ausatmen (Ujjayi Atmung, mit offenem Mund ausatmen, als ob man einen Spiegel beschlagen lassen möchte)
- Eine Minute so schnell es geht auf der Stelle sprinten, 20 Situps oder zehn Minuten Yoga machen, um den Puls in Schwung zu bringen
- Die Hier-und-Jetzt-Übung (was höre, sehe, rieche, schmecke, fühle ich gerade? Nacheinander alles benennen, was man gerade wahrnimmt)