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#psyche: Die rote Lederjacke oder: Meine Midlifecrisis

Seit Januar war es hier ziemlich still. Das liegt daran, dass ich einiges mit mir selbst ausmachen muss. Denn gerade stelle ich vieles auf den Prüfstand. Ich bin jetzt 42. Ist mein Leben das, was ich mir erhofft habe? Möchte ich so in der zweiten Hälfte weitermachen? Gibt es überhaupt eine zweite Hälfte? Das weiß ja niemand so genau.

Im Grunde geht’s mir sehr gut – mein Privatleben ist schön, ich bin glücklich in meinem Job, ich habe viele gute Freundinnen und Freunde und liebe es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Nun, da mein Auto abbezahlt ist, freue ich mich sehr darauf, wieder mehr zu reisen. Da ist Südafrika, das sich mittlerweile fast schon wie eine zweite Heimat anfühlt. Und eigentlich ist alles gut. Bis es plötzlich nicht mehr gut ist.

Immer wieder habe ich gerade Momente, in denen ich mein Leben, wie ich es mir komponiert habe, in Frage stelle. Mein Häuschen wirkt dabei wie ein Katalysator und bildet den Anfang aller Fragen. Gekauft, um zu bleiben, und eigentlich auch zufrieden – aber bin das wirklich ich? Sehe ich mich hier in den nächsten 30, 40 Jahren? Wollte ich wirklich so sesshaft werden? Oder wäre es besser, sich nochmal komplett zu entwurzeln und an einem ganz anderen Ort neu anzufangen? Nochmal nach England, die knallbunte Sonne Kapstadts genießen, zurück zu den Familienwurzeln in Franken – oder doch die schnuckelige Zwei-Zimmer-Wohnung in Bornheim, von der ich immer heimlich geträumt habe? Es gibt so viele, viele Orte, die sich für mich ebenfalls lebenswert anfühlen würden und die vielleicht noch Abenteuer für mich bereit halten. Und so viele alternative Leben, die ich gerne leben würde. Doch all die sollen es nun nicht mehr sein, denn ich bin ja sesshaft geworden und wollte mir unbedingt eine feste Zukunft aufbauen, statt zuzulassen, dass sich alles weiter entwickelt.

Es fällt mir momentan schwer, mich mit meiner eigenen Entscheidung abzufinden. Diese Verantwortung, die hohe Rate, mein Leben bei der Bank in Zehn-Jahres-Schritten verplant. Was, wenn ich mir irgendwann eingestehen muss, dass es das doch nicht ist?

Ich ärgere mich über mich selbst. Denn nach 20 unruhigen Jahren mit zahlreichen Umzügen habe ich mich endlich so aufgestellt, dass ich ankommen könnte. Fester Job, festes Zuhause – das ist doch eigentlich etwas Schönes, das beruhigt. Ich bin hier angetreten mit dem Wunsch, einen festen Ort für mein ganzes Leben zu finden. Aber um im Einklang mit mir leben zu können, muss ich mich ehrlich vor mir selbst machen. Und mir eingestehen, dass sich das momentan nicht mehr nur so schön anfühlt wie am Anfang. Vielleicht, weil dadurch alles zu überschaubar geworden ist. Und ganz leise frage ich mich, nur mal so: Käme ich aus dem allen wieder raus, ohne einen großen Schaden anzurichten für alle, die finanziell mit drin hängen? Wäre das überhaupt möglich?

Das sind beunruhigende Gedanken. Und sie haben einen Namen: Midlifecrisis.

Früher habe ich über Menschen geschmunzelt, die mit Anfang 40 ihr Leben komplett umgekrempelt haben. Familienväter, die sich plötzlich einen Sportwagen kaufen und anfangen, sich die Haare zu färben, wirken ja schnell ein bisschen lächerlich.

Nun, einen Sportwagen kann ich mir nicht leisten. Meine Art, mich lächerlich zu machen, ist erst einmal eine andere: Vor ungefähr zwei Wochen war ich mit meiner Mutter in einem Laden und sah dort eine großartig rockige rote Lederjacke im Bikerstyle. Die letzte ihrer Art, genau meine Größe. Ich probierte sie an und fand sie, erstaunlicherweise, muss ich sagen, richtig richtig cool. Aber diese Jacke ist so dermaßen weit weg von dem, was ich normalerweise trage, dass ich mich wirklich nicht traute, sie zu kaufen. Zu auffällig, zu untypisch, ein zu deutlicher Hinweis darauf, dass bei mir innerlich etwas im Gange ist. Meine Mutter musste ziemlich lachen, als ich sie zurückhängte mit den Worten: „Wenn ich die kaufe, sagen sie alle: ,Da kommt sie, die Zegelman mit ihrer Midlifecrisis-Lederjacke.’“

Aber guess what. Fünf Tage lang habe ich darüber nachgedacht und bin schließlich doch in den Laden zurückgekehrt, um sie zu kaufen. Und da hing sie noch und wartete auf mich. Sie war nicht teuer, es ist kein echtes Leder und vor allem ist es kein Kleidungsstück für die Ewigkeit, sondern ein Modegag. Aber ich fühle es grade einfach, dass ich etwas brauche, das rockt und fetzt und auch nach außen deutlich macht, dass ich in einer Metamorphose bin.

Auf meinem Blog wird es in der nächsten Zeit verstärkt um das Thema Midlifecrisis gehen. Denn ich glaube, dass ich nicht die Einzige in meinem Freundeskreis und meiner Bubble bin, die das gerade betrifft. Allerdings vielleicht die Erste, denn bisher habe ich keine meiner Freundinnen und Freunde so offen ihr Leben hinterfragen hören wie ich das jetzt tue. Nachdem ich das Foto von mir mit der Jacke in meinen WhatsApp-Status gestellt habe, bekam ich ziemlich viel Lob für den „coolen Look“. Vielleicht ist die Jacke gar nicht so weit weg von dem, was ich normalerweise trage, vielleicht gibt es diese Lücke tatsächlich nur in meinem Kopf. Außerdem glaube ich mittlerweile, dass auch andere sich heimlich eine (innerliche) rote Lederjacke wünschen. Sprechen wir doch gerne offen aus, dass wir Anfang-40-Jährigen kollektiv an einen Punkt kommen, an dem wir unsere Lebensentscheidungen hinterfragen. Denn seine Weichen fürs Leben zu stellen hat so gar nichts Lächerliches.

3 Antworten zu „#psyche: Die rote Lederjacke oder: Meine Midlifecrisis”.

  1. Das Outfit ist mega. Ich kann das nachvollziehen, es gibt einfach Flachwurzler und Tiefwurzler und Beides hat seine Berechtigung. Viele Dinge die ich mit Anfang 40 in Frage gestellt und dann doch so gelassen habe, sind mir 10 später um die Ohren geflogen und erst jetzt aus der Distanz sehe ich dass ich nicht glücklich gewesen im Haus in einem Stadtteil mit Fluss und Wald. Die Kinder stellt man nie in Frage sagt die Duras( Marguerite) aber alles andere habe ich in Frage gestellt. Ich mag den Begriff Midlife-Crisis nicht. Es sind Übergänge. Man muss sich neu einfinden. Wie haben das Glück dass über Wechseljahre gesprochen wird. Gute Startbedingungen um die richtigen Wegkreuzungen zu gehen

    1. Liebe Xeniana, danke für deinen Kommentar. Stimmt, Midlifecrisis ist ein blödes Wort – eigentlich ist es ja viel weniger eine Krise als ein geordnetes Überlegen. Und ich stimme dir zu, ich glaube, wegdrücken lässt sich das nicht. Was heißt denn, es ist dir später „um die Ohren geflogen“? Wie hat sich das denn geäußert?

      Herzliche Grüße, Anne

  2. Hallöchen, danke für deine offenen Worte. Wie immer inspirierend. Ich mag deinen Look, bei mir waren es skinny jeans und Tätowierungen vor ein paar Jahren;) Ich werde dieses Jahr 40, und erlebe ebenfalls ein Innehalten und Lage sondieren. Vielleicht sind Krisen ja nichts anderes als Momente, in denen wir uns genau zuhören, und feststellen: was ich will ist nicht immer, was ich brauche? Herzliche Grüße

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Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

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