#lifestyle: Warum ich für alle Zeit habe, nur für mich nicht – oder: Wie ich zum Weirdo wurde

Die Leute nehmen sich ja bei jedem Jahreswechsel viel vor: abnehmen zum Beispiel, aufhören mit Rauchen und Trinken, gesünder leben generell. Ich habe eigentlich immer nur einen Vorsatz. Und das ist, meine eigenen Bedürfnisse künftig ernster zu nehmen und generell mehr Ruhe in mein Leben zu bringen. Ich lebe aus Tradition über meine Kraftreserven, das weiß ich. Einfach weil ich so gerne unterwegs bin und meine vielen, vielen Freunde sehr mag, weil mein Leben schon immer voll war und ich überall, wo ich bin, liebe Menschen „aufsammele“, mit denen ich mich treffen will.

Aber zugleich ist dieses Immer-Unterwegs-Sein, immer im Gespräch sein, auch etwas, von dem ich seit Ewigkeiten weiß, dass es mir in dieser Dosis nicht (mehr) gut bekommt.

Es ist eine komische Situation.

Denn fast alle Dinge, die mich davon abhalten, mich auszuruhen, tue ich freiwillig. Es zwingt mich ja keiner, mich an vier von fünf Abenden zu verabreden, in irgendwelchen Restaurants und Bars in Frankfurt zu sitzen und mit ewig wechselnden Menschen immer wieder ähnliche Themen zu diskutieren. Freizeitstress nennt man das wohl – und das klingt so, als sei es ganz easy, sich einfach weniger vorzunehmen.

Mein Problem ist eher, dass ich zu viel schöne Gespräche will. Dass ich meine Freizeit so komprimiert gestalte, dass ich alles unterkriege – und am Ende fehlt mir die Zeit, mich davon zu erholen oder andere Dinge zu tun, die meinen Akku wieder aufladen, wie lesen, schreiben, Netflix bingen. Mein Problem ist, dass ich mir bewusste Ruheinseln schaffe und sie dann ignoriere, weil ich diese und jene Freundin, diesen und jenen Freund schon so lange nicht mehr gesehen habe.

Richtig extrem wird es dann, wenn sich die äußeren Umstände auch noch verändern.

Gerade befinde ich mich mal wieder in so einer richtig heftigen Phase meines Lebens. Ich arbeite seit nicht mal zwei Monaten in meinem neuen Job und lerne jeden Tag unendlich viel Neues, ich habe eine Tonne an Abendverabredungen, Wochenendplänen und Urlaubsideen – und dazu kommen auch noch jede Menge Krankenhausbesuche, weil jemand aus meiner Familie operiert wurde und ich mich irgendwie zuständig fühle, mich (täglich) um ihn zu kümmern.

Tagsüber geht das alles auch halbwegs gut.

Mit viel Kaffee und mehr Zucker, als ich eigentlich essen möchte, powere ich mich so durch den Tag und Abend. Irgendwann komme ich dann heim, falle ins Bett, stelle beim Wecker-Aktivieren fest, dass ich in fünf Stunden wieder aufstehen muss. Und kann dann noch einige Zeitlang nicht einschlafen, weil ich so aufgedreht bin. Mit dem Ergebnis, dass ich am nächsten Morgen völlig fertig aufwache und es kaum schaffe, aufzustehen.

Tag 24 im neuen Jahr – und so weit ist es also schon gekommen. Na prächtig.

Welchen besseren Moment gäbe es, um für mich und Euch mal ein paar Tipps zu sammeln, wie man es schaffen kann, das eigene Bedürfnis nach Ruhe besser zu achten?

#1: Analysiere, warum du tust, was du tust

Jeder von uns handelt nach seinem ganz persönlichen Strickmuster. Wir haben Glaubenssätze, die wir als Kinder gelernt und seitdem verinnerlicht haben – und es ist gar nicht so leicht, zu durchschauen, warum wir tun, was wir tun. Doch irgendeinen Grund wird es schon haben, dass wir uns schädlich verhalten, obwohl wir merken, dass wir darunter leiden. Auf der Webseite www.gluecksdetektiv.de habe ich eine kleine Liste zur Frage gefunden, wie ich mich selbst zur Priorität machen kann. Da heißt es unter anderem:

Vielleicht geht es dir so wie mir und du denkst, dass du alles schaffen musst, um deinen Wert unter Beweis zu stellen.

Das ist doch interessant, oder? Und es kommt mir bekannt vor. Ich definiere mich sehr über meine Freunde, darüber, ihnen nah und für sie da zu sein. Auch wenn ich damit über meine eigenen Grenzen hinaus gehe. Ich glaube, dass das meinen Wert im Leben ausmacht. Vielleicht hast auch du das Gefühl, für deinen Wert „arbeiten“ zu müssen?

#2: Verabrede dich mit dir selbst

Das klingt banal, funktioniert aber erstaunlich gut: Trage dir selbst in deinen Kalender Abende (oder auch Mittagspausen oder Stunden am Wochenende) ein, die du für dich selbst blockst. Und wenn jemand diese Zeit invadieren will, sagst du: „Tut mir leid, da bin ich schon verabredet.“ Erstmal nimmt dein Gegenüber diese Absage ernster als die ehrliche Alternative („Da mache ich nichts.“ „Gut, dann kannst du dich ja mit mir treffen.“) Zweitens nimmst du deine Ich-Zeit dann vielleicht auch selbst ernster. Damit werde ich auf jeden Fall wieder anfangen, ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt damit aufgehört habe.

#3: Schütze dich vor der Erwartung Anderer

Vielleicht ist es im Absatz davor schon angeklungen: Ich habe ein echtes Problem damit, die Wünsche anderer „abzuwehren“. Das führt dazu, dass andere sich das instinktiv zu Nutze machen. Nicht, weil sie böse Menschen sind. Sondern weil sie wissen, dass es mitunter schwierig sein kann, bei mir einen Fuß in die Tür zu bekommen, weil ich immer ewig im Voraus „ausgebucht“ bin.

Meine Familie macht das gerne, aber auch liebe Freunde, die mir am Ende, wenn ich sage, dass ich erst in drei Monaten wieder Kapazität für ein Treffen habe, um die Ohren hauen: „Warum hast du eigentlich für alle anderen Zeit, nur für mich nie?“ Klingt mega fies, aber ich vermute, die Leute empfinden das tatsächlich so. Und weil ich ihren Frust verstehe, quetsche ich sie halt doch in den sorgsam geblockten Ich-Abend.

Selbstverständlich schmeichelt es mir auch, dass andere mich unbedingt sehen wollen und deshalb darauf beharren, dass ich mir Zeit für sie nehme. Und wahrscheinlich bedient diese „Zeit-Invasion“ sogar noch irgendein düsteres Bedürfnis in mir, mich aufzuopfern. Ganz schön vertrackt. Aber daran will ich 2019 arbeiten.  Mein Ziel ist es, irgendwann sagen zu können: „Da kann ich nicht, da mache ich nämlich nichts – mit niemandem.“ Und dass das dann auch respektiert wird, von mir ebenso wie von meinem Gesprächspartner.

#4: Gehe offen mit dem Problem um – auch wenn Leute dich für komisch halten

Sehr gute Freunde wissen mittlerweile, dass ich mich am Wochenende so gut wie nie verabrede. Mein soziales Leben findet unter der Woche statt, ich schleppe mich bis zum Freitagabend und breche dann halbtot auf der Couch zusammen. Sonntags schaffe ich es vielleicht grade noch, meine Mutter und meinen Bruder mit Familie zu sehen.

Der Grund für dieses seit Jahren regelrecht kollabierte Wochenende ist, dass ich unter der Woche ein so extremes Tempo fahre, dass ich am Samstag und Sonntag einfach runterschalten muss. Außerdem kaufen wir da ein, saugen die Wohnung, waschen Wäsche, also machen all die Dinge, die wochentags völlig unmöglich sind und so fast zum Luxus ausarten, obwohl es ja nur Hausarbeit ist. Sachen, die liegen bleiben und abgearbeitet werden müssen.

Und so schwer es mir unter der Woche fällt, mich zu schützen, so extrem verteidige ich meine Wochenenden. Meine sehr guten Freunde wissen, dass ich in der Regel nicht für einen Samstagsbrunch oder einen sonntäglichen Museumsbesuch zur Verfügung stehe. Trotzdem sorgt das häufig noch für Irritationen, denn ich glaube,  die meisten anderen Menschen planen an diesen Tagen großzügig zeitintensive Freizeitaktivitäten. Und sie möchten, dass ich daran teilnehme, mit ihnen auf einem Rheinschiff schippere, übers Wochenende in den Centerpark fahre und mit ihren Kindern in den Zoo gehe. Weil ich dem prinzipiell ablehnend gegenüber stehe, komme ich schnell als weird rüber und die Leute sind beleidigt. Dabei hat das nichts mit ihnen zu tun, sondern ausschließlich mit mir.

Ich habe viele Freunde, die jeden Abend unter der Woche zuhause sind und dafür ihre Wochenenden vollpacken mit Treffen, Kultur und Party. Das kollidiert leider mit meinem Lebensrhythmus. Tatsächlich habe ich schon mal versucht, das umzustellen, aber dann komme ich schnell in den alten Trott zurück. Warum? Weil die Arbeitswoche einfach fünf Tage hat und das Wochenende eben nur zwei.

#5: Finde die eine Sache, die nicht verhandelbar ist

Ich „praktiziere“ seit gut einem halben Jahr Yoga, und zwar jeden Morgen 20 bis 30 Minuten, meistens zwischen sechs und halb sieben. Das schaffe ich sogar noch, wenn ich so richtig früh aufstehen muss und weiß, dass ich bis spät Abends unterwegs sein werde.

Es wundert mich selbst, woher ich diese Entschlossenheit nehme – und dass ich  nie versucht bin, einfach länger zu schlafen und die Zeit auf der Matte ausfallen zu lassen. Denn eigentlich neige ich dazu, aus jedem Sportkurs und jeder Diät nach einigen Wochen rauszutröpfeln. Aber Yoga gibt mir etwas, das nicht durch 20 Minuten länger Schlafen aufzuwiegen ist – Frieden, die Möglichkeit, mich auf mich selbst zu besinnen, bevor der Tag beginnt, einfach einen guten Start. Und verdammt nochmal Zeit, die nur mir gehört und die keiner für sich beanspruchen kann. Wahrscheinlich würde ich in der momentanen Situation schon die Wände hochgehen, wenn ich das nicht als Mini-Ausgleich hätte.

Ist es nicht interessant, dass Dranbleiben so einfach ist, wenn man die eine Sache findet, an die man wirklich glaubt und die nicht verhandelbar ist?

7 Kommentare

  1. Schmunzel … Gute Ratschläge. Nur Ratschläge sind auch „Schläge“. Beherzigst du sie selber auch? Oder sind die die „Anderen“ und die Meinung anderer nicht doch wichtiger, als du selber?

    1. Ich versuche, sie zu beherzigen. Aber noch gelingt es mir nicht so gut. Ich sammele momentan Tipps von Leuten, die mir auf den Artikel geschrieben und selbst noch Ideen hatten. Vielleicht hast du ja auch noch ein paar Vorschläge, wie man kürzer treten könnte?

      1. Schmunzel .. Erkenntnis ist da. Es gibt also eher Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Ich würde mich in ruhigen Momenten fragen: Warum gelingt mir nicht die Umsetzung? Was hindert mich daran, selbst wenn ich es möchte. Eine Antwort wird kommen, auch wenn es vielleicht etwas dauert. Die Frage ist nur, will ich es wirklich wissen.

      2. Hallo Molefran, ja, da sagst du was – es kann sein, dass die Antwort ziemlich schmerzhaft ist. Ich bin ja auch ein riesen Meditationsfan, weil ich festgestellt habe, dass die Antworten eigentlich alle schon da sind, man muss sich selbst nur mal zuhören. Meditieren über der Frage, warum ich meine eigenen Erkenntnisse nicht umsetze, ist also definitiv ein guter Tipp und kommt mit auf die Liste! 🙂 Danke dir.

  2. Vielleicht wäre eine Alternative auch ein Abend bei dir zu Hause, wo du deine Freunde einfach zu dir einlädst. Also gleich mehrere gleichzeitig – wer eben grad Zeit hat. Zum kochen, Monopoly spielen ect.? Dann hast du einen festen Abend in der Woche, an dem du Spaß mit Freunden hast und der Rest bleibt erstmal frei? Ansonsten ist es natürlich auch schön, dass du so viele Freunde hast und Menschen, die dich mögen <3

    1. Jaaa, das stimmt – ich bin auch sehr froh, dass ich so viele liebe Freunde habe. Der Abend daheim mit Freunden ist eine gute Idee, wobei ich in einem Vorort wohne und die meisten anderen in der Stadt. Aber das werd ich auf jeden Fall in meine Liste der Tipps aufnehmen, die mir User als Reaktion auf den Artikel gegeben haben und die ich hier bald veröffentlichen will. Danke dir! :)

      1. Es ist auch verdammt schwer, seine Gewohnheiten zu ändern. Es gibt ja genug Gründe, warum du deine Freunde so triffst, wie du es momentan tust.^^

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