
Gestern Abend saß ich mit zwei Freundinnen digital zusammen und wir sprachen darüber, wie lang die Pandemie jetzt schon andauert. Wie viel sich seit Beginn gesellschaftlich verändert hat, aber auch, was wir persönlich seit März 2020 unter Corona-Bedingungen erlebt haben. Wir zum Beispiel sind ja im Februar mitten im schlimmsten Lockdown umgezogen, als uns so gut wie niemand helfen durfte, die Baumärkte zu hatten und wir schon seit Monaten beide im Homeoffice arbeiteten. Da es nicht unser erster Umzug war, konnten wir die Situationen ganz gut vergleichen. Und uns wurde schnell klar: Unterm Strich war es unter Corona-Auflagen etwas komplett anderes. Ich bin froh, dass ich eine Vergleichsmöglichkeit habe, denn sonst würde ich wahrscheinlich das Gefühl daraus mitnehmen, dass es zum Beispiel wahnsinnig kompliziert ist, an Umzugskartons zu kommen. Oder dass es völlig unmöglich ist, einen Umzug nur mit Freunden zu stemmen, und man immer ein Unternehmen buchen muss. Stimmt alles gar nicht. Aber woher soll man das wissen, wenn man es nur so erlebt hat?
Das brachte mich auf den Gedanken, dass diese Erfahrungen, die wir unter Pandemie-Vorzeichen machen, uns auch im späteren Leben weiter begleiten werden.
Ein wenig erinnert mich das an meine erste Wohnung.
Die hatte ich nämlich, zusammen mit meiner Freundin Lina, 2006 und 2007 in England. Auch für sie war es die erste eigene Wohnung. All die Pflichten, die man als Mieterin so hat, lernten wir also erst einmal nur auf die britische Weise kennen: Wir zahlten unsere Strom- und Wasserrechnungen per Abreiß-Scheckbuch jeden Monat brav am Postschalter. Wir waren uns darüber im Klaren, dass auf die Miete immer noch ein stattlicher Anteil Council Tax obendrauf kommt, den, zumindest in Milton Keynes, die Mieter zahlen. Und so weiter. Als wir dann schließlich zurück nach Deutschland gingen und ich eine eigene Wohnung hier bezog, war ich irritiert davon, dass alles ganz anders funktionierte. Klar, mit der deutschen Art, eine Wohnung zu mieten, hatte ich ja keine Erfahrung. Im Grunde war es eine Art zweite erste Wohnung, die ich dann hatte. Denn ich musste alle ersten Erfahrungen noch einmal machen.
So ähnlich ist es mit dem Leben in der Pandemie. Ich glaube, die meisten von uns haben in den vergangenen 14 Monaten wichtige Veränderungen erlebt und auch Lebenserfahrungen zum ersten Mal gemacht. Ich denke da zum Beispiel an:
- Job verloren
- (Digitales) Vorstellungsgespräch gehabt
- Neuen Job begonnen
- Auto gekauft
- Haus gebaut
- Umgezogen
- Mit psychischen Problemen gekämpft
- Existenzsorgen gehabt
- Viel Gewicht zugenommen
- Viel Gewicht verloren
- Frisch verliebt
- Geheiratet
- Getrennt
- Scheidung
- Ein Kind geboren
- Ein Kind taufen lassen
- Ein Kind beim Kita- oder Kindergartenstart begleitet
- Ein Kind eingeschult
- Selbst einen Schulabschluss gemacht
- Ein Studium/ eine Ausbildung begonnen
- Ein Buch veröffentlicht
- Im Krankenhaus gewesen (z.B. zu einer OP)
- Eine Beerdigung organisiert
So manches von der Liste habt vielleicht auch Ihr erlebt in den vergangenen 14 Monaten. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass vieles von dem, was wir momentan als schwer empfinden, Pandemie-bedingt schwer ist und außerhalb von Corona eine andere Erfahrung gewesen wäre.
Dazu kommen noch die Lebenserfahrungen, die wir nur wegen der Pandemie machen und die wir auch später nicht so einfach abschütteln werden können:
- In Quarantäne gewesen
- Stoffmasken genäht
- Zum ersten Mal mit Maske einkaufen gegangen und sich gefühlt wie im Wilden Westen
- Maske ausgezogen und sich nackt gefühlt
- Jemanden an Corona verloren
- Impfscham verspürt
- Impfneid verspürt
- Bußgeld gezahlt, weil man die Regeln missachtet hat
- Unter dem Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten gelitten
- Stress mit dem Arbeitgeber gehabt, weil Kinder betreut werden mussten
- Selbst an Covid-19 erkrankt
- Angst vor Ansteckung gehabt
- Vom Flieger des Außenministeriums heim gebracht worden
- Nach Mallorca (oder woanders hin) geflogen und dafür angehatet worden
- Zu Gott gebetet, obwohl man nicht besonders gläubig ist
Am Anfang sah es vielleicht so aus, als ob Corona nur eine kurze Episode in der Geschichte der Menschheit wäre, die wir schnell wieder vergessen werden. Mittlerweile aber ist klar, dass zumindest die Erfahrungen aus dieser Zeit uns für den Rest unseres Lebens begleiten werden. Gerade all die „ersten Male“, die wir während der Pandemie erlebt haben, lassen sich nicht mehr zurückholen. Das müssen wir akzeptieren – und dürfen uns, so die Pandemie irgendwann vorüber ist, auf die „zweiten ersten Male“ freuen. Die dann hoffentlich viel leichter werden.
Dein Artikel hat mir gut gefallen und so konnte ich bewusst über diesen Gedanken Nachdenken.
Was wir in einer Generation nicht erlebt haben wie z.b die Pest oder Collera und wie die Menschen dahingeraft wurden. Zeigt uns Heute ein Bild wie schnell es gehen kann. Wenn wir Menschen alles so einfach im Leben nehmen.
Danke für deine Worte. Ja, man muss sich bewusst machen, wie lange wir unsere „Ruhe“ hatten.