// dezembra.blog

#psyche: Die innere Absichtserklärung

Foto: Blake Cheek

Vergangene Woche hat mir eine Kollegin, die ich sehr mag, davon erzählt, dass sie mit ihrem kleinen Kind einen weiten Flug unternommen hat. Auf meine Frage, ob das denn nicht sehr anstrengend gewesen sei, antwortete sie: „Ja, das geht nicht ohne innere Absichtserklärung.“

Ich fand die Formulierung ungewöhnlich, das hatte ich so noch nicht gehört. War das vielleicht eine bekannte Redewendung, die ich nur nicht kannte? Eine kurze Google-Recherche ergab, dass es sich nicht nur um etwas Spirituelles, sondern sogar um eine Formulierung aus dem Rechtswesen handelt: Es geht um die Haltung, aus der heraus jemand etwas tut – um die Absicht eben, jemandem zu schaden oder nicht zu schaden.

Meine Kollegin meinte damit natürlich, dass du dir sicher sein musst, dass es sich lohnt, wenn du mit einem Baby eine lange Flugreise unternimmst. Weil du nur so die ganzen Anstrengungen, die damit zusammen hängen, aushalten kannst – wenn du weißt, wofür du es tust. Das lässt sich auch auf viele andere Bereiche des Lebens übertragen.

Wenn der Wille da ist, sind die Füße leicht.

Schottisches Sprichwort

Wenn du weißt, wofür du arbeitest, ist es leichter, Überstunden zu machen. Wenn du auf ein bestimmtes Ziel hin sparst, fällt der Verzicht leichter. Allerdings machen wir vieles zwar mit einer Absicht im Hinterkopf, aber ohne diese Absicht für uns selbst auszusprechen, zu formulieren oder vielleicht sogar aufzuschreiben.

Das ist mir klar geworden, als ich am Sonntag selbst einen langen Flug angetreten habe. Ich liebe es, auf der Welt unterwegs zu sein, ich fühle mich in anderen Ländern oft wohler als in Deutschland, verstehe mich in der Fremde selbst besser als daheim, wo alle so sind wie ich. Fliegen ist für mich auch kein Problem, allerdings sind die Reize, denen ich in einem Flugzeug ausgesetzt bin, anstrengend bis überfordernd. Die Geräuschkulisse (dagegen trage ich Noise-Cancelling-Kopfhörer oder Calmer-Earplugs, die dem Krach die Spitzen nehmen), das helle Licht, das ich selbst nicht beeinflussen kann, das Gewackel, das lange Sitzen, das Wissen, tausende von Metern über der Erde in einem mir technisch unverständlichen Metallgebilde zu sitzen, dessen Zustand über Leben und Tod entscheidet und das nicht nur von Menschen gewartet wurde, sondern auch von einem vielleicht müden, vielleicht kranken Menschen gesteuert wird.

Ich kann mir also Schöneres vorstellen, als in einem Flugzeug zu sitzen. Und dann auch noch für viele, viele Stunden am Stück. In meinem konkreten Fall jetzt bestand der Flug (nach Südafrika) aus zweimal rund sieben Stunden mit einer eineinhalbstündigen Unterbrechung in einem ziemlich exotischen Land (Addis Abeba in Äthiopien). Mein Vater lebt ja zum Teil hier in der Nähe von Kapstadt, und ich liebe es, ihn hier zu besuchen, ich mag sein wunderschönes Haus, die tolle Aussicht auf die Berge, seinen großen Südafrika-Freundeskreis, das wunderbare Klima, die unfassbar schönen Farben und alles drumherum. Und dennoch fällt es mir nicht leicht, zu akzeptieren, dass die Anstrengung des langen Flugs dazugehört, hierher zu kommen.

Kann eine innere Absichtserklärung daran etwas ändern? Macht es einen Unterschied, wenn man für sich selbst zu Beginn einer Anstrengung formuliert: „Ich habe die Absicht, diese Anstrengung durchzustehen, und zwar aus folgendem Grund:“?

Ich habe es am Sonntagabend, kurz bevor das Flugzeug auf die Startbahn rollte, probiert. Und ich kann berichten: Es hat einen großen Unterschied gemacht. Jedesmal, wenn ich dachte, dass die Zeit ja überhaupt nicht rumgeht, dass ich nicht noch einen Film schauen möchte, jedesmal, wenn ich mich gefangen und reizüberflutet fühlte, habe ich mich an meine innere Absichtserklärung erinnert. Und das hat mir neue Kraft und Gelassenheit gegeben.

Natürlich geht das alles weit über mein profanes Beispiel hinaus. Ich denke da zum Beispiel an Jochen Wier, den beeindruckenden Sportler, den ich vor einigen Jahren mal in Heidelberg zum Interview getroffen habe. Er hat bei einem Unfall beide Füße und einen Arm verloren – und ist dennoch einen Marathon gelaufen. Am Anfang seines Trainings hat er sich nicht einfach nur das Ziel gesetzt, nein, er hat seine Absicht erklärt: Öffentlich in einer TV-Sendung nämlich. Und er hat diese Absicht eingelöst und ist den Marathon gelaufen. Needless to say, dass ich nach dem Interview mit ihm schockverliebt und unendlich beeindruckt war.

Die innere Absichtserklärung ist wichtig, aber mir scheint, noch besser funktioniert es, wenn aus ihr eine äußere Absichtserklärung wird – zum Beispiel durchs Aufschreiben der Absicht oder durchs Aussprechen in einer Fernsehsendung vor einem Millionenpublikum wie bei Jochen. ;) So oder so, probiert es mal aus, eine Absicht klar zu formilieren. Denn es macht einen großen Unterschied, ganz genau zu wissen, wofür man etwas Unangenehmes auf sich nimmt.

Hinterlasse einen Kommentar

Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

dezembra.BLOG DURCHSUCHEN