
Letztens war ich mit meiner Freundin Laura im Märchencafé in Grünberg. Dort gibt es nicht nur wunderbare Torten, sondern auch jede Menge Kitsch und Großartiges rund um die schönsten klassischen Märchen. In den Vitrinen und auf jeder freien Fläche stehen bemalte Tassen mit Märchenmotiven, Figürchen und viele andere kleine und große Überraschungen. Vielleicht ist es die Erinnerung an den kindlichen Glauben daran, dass alles gut wird, oder die Tatsache, dass viele Figuren einem vorkommen wie alte Freunde, aber was es auch ist: Ich liebe Märchen.
Deshalb war ich sofort neugierig, als mir mein Freund Marco das Buch „Märchenhaft glücklich – 100 neue Märchen von Lebensfreude und Erfüllung“ empfohlen hat. Geschrieben hat es sein Kollege Mathias Himberg – und ich gebe zu, wahrscheinlich wäre ich von alleine nicht darauf aufmerksam geworden. Aber nun, da es mit der Post kam, habe ich es von vorne bis hinten durchgelesen und mich schwer verliebt in die vielen Fabelwesen und Gestalten, die über jede einzelne Seite wandeln. Die Geschichten sind kurz, häufig nur zwei, höchstens vier Seiten lang. Aber sie sind so klug und voller Herz geschrieben, dass ich Euch das Buch hier umbedingt empfehlen möchte.
Mathias Himberg, Journalist bei der Lebensmittel Zeitung, sucht nach einer Antwort auf die Frage, was wir eigentlich brauchen, um glücklich zu sein.
Seine 100 Geschichten unterteilt er dabei in die Kapitel Selbstliebe, Liebe, Freundschaften, Familienglück, Mitmenschlichkeit, Genussfähigkeit, körperliche Freuden, sinnstiftende Arbeit, Lebenssinn und Freiheit. Dabei gelingt es ihm auf liebevoll-clevere Weise, seine Figuren in den kurzen Sequenzen lebendig werden zu lassen. Die Pointen kommen aufgrund der Knappheit der Geschichten schnell und deutlich – und das ist sehr gut so. Gerade, wenn man die Geschichten hintereinander wegliest, offenbart sich, dass die Sammlung eigentlich eine Art Kaleidoskop ist: Mathias Himberg blickt von den unterschiedlichsten Blickwinkeln auf sein großes Thema – und macht deutlich, dass es im Grunde genommen eigentlich immer nur darum geht, auf unser eigenes Glücksbarometer zu achten.
Ich habe den Autor gefragt, warum die Welt seiner Meinung nach moderne Märchen braucht. Seine Antwort: „Weil sie uns aus den engen Denkbahnen des Alltags befreien und unsere Augen für neue Wege zum Glück öffnen.“ Ich glaube, dass wir sie brauchen, weil unsere Realität sich verändert hat – und die Werte dieser alten Welt, in der die klassischen Märchen einst entstanden sind, nicht mehr gelten. Wir Frauen brauchen keinen Ritter mehr, der uns aus einem Turm rettet. Wir küssen keine Frösche mehr, um endlich den einen Prinzen zu finden. Denn für uns dreht sich nicht alles um die Liebe und die große Traumhochzeit, nach der nur noch das Happy End kommt. Stattdessen ziehen wir in die Welt hinaus und erleben unsere Abenteuer selbst, wir schlagen unsere Schlachten und finden unser eigenes Glück. Und wenn wir dabei noch einen starken Partner treffen, ist es umso besser. Entsprechend gefällt es mir ausgezeichnet gut, dass es in Mathias Himbergs modernen Märchen Heldinnen und Kriegerinnen, unsichere Prinzen und gleichgeschlechtliche Liebespaare gibt. Yeah!

Egal ob Glücksmärchen oder Krimi: Wenn ich in einem Buch einen wertvollen Satz entdecke, knicke ich immer die untere Seite um, um dorthin zurückkehren zu können. Deshalb ist das Märchenbuch nun voller Knicke. Doch ich habe eine Lieblingsgeschichte, nämlich „Die Köchin und die Freude“. Und die geht ungefähr so:
Die kleine Köchin ist weder besonders hübsch noch besonders klug – doch sie ist sehr glücklich. Jeden Tag brät sie Fisch in der Küche eines Gasthauses und ist dabei immer fröhlich. Ihre freie Zeit verbringt sie damit, Schmetterlinge zu fangen und wieder freizulassen oder mit ihrer Freundin zu spielen. Das stößt bei ihren Verwandten auf Unverständnis. „Du verschwendest dein Leben mit Taugenichtsen und hast immer noch kein eigenes Gasthaus“, schimpfen sie. „Versuch doch, es endlich zu etwas zu bringen!“ Die kleine Köchin lässt sich verunsichern und glaubt den Worten schließlich. Um etwas zu verändern, meldet sie sich zur Abendschule an. Fortan ist sie nur noch am Lernen und am Arbeiten, denn sie möchte ja genug Geld sparen, um sich endlich ein eigenes Gasthaus leisten zu können. Für Spiele mit ihrer Freundin und für die Schmetterlinge bleibt keine Zeit mehr. Schließlich hat sie einen Abschluss und endlich genug Geld gespart – doch sie wird immer unglücklicher und hat an nichts mehr Freude. Das ändert sich erst, als ihr Umfeld sich darüber beschwert, dass sie nicht mehr fröhlich ist. Die kleine Köchin begreift, dass ihr Leben gut und erfüllt war, bevor sie es verändert hat. „Ich danke Euch, dass Ihr mich an mich selbst erinnert habt“, ruft sie den Leuten zu. „Ich hätte fast vergessen, wie gut ich bin, wenn ich bin, wie ich bin!“
Ich finde, das ist eine sehr wertvolle Pointe.
Diese Verunsicherung von außen kenne ich zur Genüge, wie wahrscheinlich viele andere Menschen auch. Und nachdem ich das Spiel jetzt einige Male durchgespielt habe, weigere ich mich, mir weiter vorschreiben zu lassen, was mich glücklich machen soll. Genau wie die kleine Köchin werde ich mich künftig darauf konzentrieren, so zu sein, wie ich bin, denn das kann niemand so wie ich. Danke, lieber Mathias Himberg, für die Erinnerung. :)
Das Buch „Märchenhaft glücklich – 100 neue Märchen von Lebensfreude und Erfüllung“ ist im Verlag Hartmut Becker erschienen und kostet 14,80 Euro.
