
Erinnerst du dich noch an dein erstes Mal? Zum Beispiel an den ersten Film, den du im Kino gesehen hast (bei mir war das „Arielle die kleine Meerjungfrau“ von Disney). Oder an die erste Klassenfahrt, den ersten richtigen Urlaub ohne Eltern. Den ersten Freund, den ersten Kuss, den ersten Sex. Den ersten Job (mies). Später dann das erste Auto. Die erste eigene Wohnung. Das erste Piercing, das erste Tattoo.
Nun, vor ein paar Tagen habe ich mir mein zweites Tattoo stechen lassen. Und während ich so im Laden stand und darauf wartete, dass der Tätowierer die Vorbereitungen abschließen und mich zu sich winken würde, musste ich zwangsläufig an mein erstes Tattoo denken. Acht Jahre ist das jetzt her, und das passt, denn das Tattoo ist eine 8 am linken Unterarm. Kein Unendlichkeitszeichen, wie viele denken, sondern die Zahl 8, die für mich – und die Freundin, mit der ich mir das Tattoo gemeinsam habe stechen lassen – eine große Bedeutung hat.
Damals war das eine ziemliche Hau-Ruck-Aktion. Meine Freundin ging durch eine heftige Phase in ihrem Leben, ich an ihrer Seite, und wir beschlossen, dieser verrückten Zeit und unserer verrückten Freundschaft ein Denkmal zu setzen. Aber, und das finde ich wichtig, nicht nur unserer Freundschaft. Sondern auch uns als Individuen, als Frauen, die ihren eigenen Weg gehen und sich nicht unterkriegen lassen. Sofort war klar, es muss die 8 sein. Die Stelle: schnell geklärt. Die Tattoo-Vorlage: ebenfalls nach einem Abend Diskussion per WhatsApp ausgewählt. Der Termin: dank einer befreundeten Tätowiererin relativ schnell festgeklopft. Meine Freundin, die damals noch im Ausland lebte, kam eingeflogen, wir wurden tätowiert, machten viele Fotos und erlebten einen gefühlsmäßig rauschhaften Tag zusammen. Zwei Anfang-30-Jährige, die grade etwas richtig Verrücktes getan hatten und sich unsterblich fühlten. So war das.
Diesmal nun stand ich allein im Tattoostudio. Diesmal hatte ich das Motiv ganz allein ausgesucht und auch die Stelle. Kaum jemand wusste von meinem Termin. Und während ich so an mein „erstes Mal“ dachte, erkannte ich, dass das „zweite Mal“ durchaus auch etwas für sich hat. Denn ich wusste bereits, dass Tätowieren, zumindest an den harmlosen Stellen, die ich mir dafür aussuche, nicht schlimm weh tut, sondern auf eine komische Art sogar ganz angenehm ist. Ich wusste bereits, dass meine Haut, die sonst bei jedem Anzeichen von Stress sofort Pusteln bildet, mit Tattoo-Tinte erstaunlicherweise ganz gut klar kommt. Und ich wusste, dass es in den nächsten Tagen und Wochen ein emotionaler Prozess werden würde, zu begreifen, dass dieses Bild auf meiner Haut nun zu mir gehört.

Während ich auf dem Tätowierstuhl saß, dem Surren der Maschine und dem Ziepen auf der Haut nachspürte, war ich dankbar dafür, dass dies hier nicht mehr mein erstes Mal war. Und dass ich es diesmal richtig zu schätzen wusste. Dass ich mir Zeit genommen hatte, das Motiv zu finden, dass ich aus eigenem Antrieb hergekommen war und nicht für jemand anderen. Dass ich mich sehenden Auges dafür entschieden hatte, das zu machen, einfach weil ich es wollte. Dieser zweite Tattoo-Termin wäre nicht so entspannt und positiv und ich gewesen, hätte es den ersten nicht gegeben.
Vermutlich ist diese Erkenntnis das Ergebnis eines Reifeprozesses. Denn als ich jünger war, war auch ich fokussiert auf diese ersten Male, die von den Jugend-Medien emotional aufgeladen werden bis zum Geht-Nicht-Mehr. Wer erinnert sich nicht an den „Mein erstes Mal“-Bericht auf der Dr. Sommer-Doppelseite in der Bravo. Das führte bei mir vor allem dazu, dass ich jedes Mal, wenn ich mich als junge Frau neu verliebte, eine leise Traurigkeit darüber spürte, dass der Neue nicht mein erster Freund war. Nicht mein erster Kuss. Nicht mein erstes Alles. Damals hätte ich meine ersten Male liebend gerne ungeschehen gemacht, um aus meiner neuen Liebe meine erste zu machen.
Was für ein Blödsinn.
Richtig bewusst wurde mir das Ganze, als ich 2011 mit Björn zusammenzog. Wir hatten beide bereits einmal vorher mit anderen Partnern zusammengewohnt. Und zumindest ich für meinen Teil kann sagen, dass ich in meiner ersten Runde Zusammenleben aus Naivität jede Menge Fehler gemacht habe. Als Björn und ich nach zweijähriger Beziehung zusammenzogen, waren wir nicht mehr naiv, im Gegenteil. Wir waren so verschreckt von unseren ersten schlechten Wohn-Erfahrungen mit anderen Menschen, dass wir einander jahrelang misstrauisch begegneten. Wir hatten bereits auf die harte Tour gelernt, dass es gefährlich sein kann, Finanzen, Besitz und solche Dinge einfach zu durchmischen. Stattdessen besprachen wir von Anfang an sehr klar, wer wieviel unserer monatlichen Kosten zu zahlen hatte (immer Hälfte-Hälfte). Ich hatte bereits gelernt, dass ich die Finanzen des Haushalts selbst unter Kontrolle haben wollte, um später keine bösen Überraschungen zu erleben. Und so weiter.
Nur durch unsere ersten Erfahrungen mit anderen Partnern haben wir eine freiheitliche Basis für unser Zusammenleben und unseren gemeinsamen Haushalt gefunden, die wir bis heute, elf Jahre und eine weitere Wohnung später, so praktizieren. Deshalb bin ich dankbar für mein erstes missratenes Mal Zusammenleben, auch wenn es chaotisch, schmerzhaft und teuer war. Denn der Fehlstart war nötig, um mich auf das zweite Mal vorzubereiten, das nun das „richtige“ Mal ist.
Erlebnisse bauen aufeinander auf. Wir reifen, wir lernen und wandeln uns. Nichts wird beim zweiten Mal genauso sein wie beim ersten Mal, das stimmt. Aber ich lehne mich nicht besonders weit aus dem Fenster, wenn ich sage: Das ist auch gut so. Denn das erste Mal ist wie ein Testlauf, der oft genug schief geht. Jedes Mal hat seine Berechtigung, seine Schönheit, seine Eigenart. Und das sage ich als erstes Kind einer ersten Ehe, wohl wissend, dass auch meine Existenz dazu beigetragen hat, dass ein späteres Kind bewusster willkommen geheißen werden konnte. Und irgendwie ist das doch auch ein schöner Gedanke.