#psyche: Sucherin

Foto: Dat Tran

Manchmal, alle paar Jahre, ist da plötzlich dieser Wunsch, neu anzufangen. Alles zu verändern, mich radikal zu verändern, den Großteil meiner Sachen wegzugeben und endlich freier, simpler, glücklicher zu leben. Immer dann, wenn es zu bequem wird, zu normal, wenn sich alles zu gut eingespielt hat, fühle ich, dass die Zukunft mich ruft. Ich sehne mich plötzlich nach einem Aufbruch, der sich nicht wegdiskutieren lässt. Ist es der Frühling? Nein, da steckt mehr dahinter, das kenne ich schon von mir und ich weiß, was dann passiert: Ich mache mich auf die Suche. Auf eine Suche, die zunächst kein konkretes Ziel hat. Kann sein, dass am Ende ein Besuch beim Friseur steht und ich mir meine jahrelang geduldig gezüchteten Haare in einer Momententscheidung raspelkurz abschneiden und blondieren lasse. Ein Entlastungsschnitt, nach dem ich gleich freier atmen kann. Kann sein, dass ich mir ein Tattoo machen lasse, mir eine verrückte Jacke oder Tasche kaufe oder eine Reise buche. Kann aber auch sein, dass ich mich auf Immobilienportalen und Jobbörsen registriere und anfange, noch den hintersten Winkel des Internets nach dem abzusuchen, was es nicht zu geben scheint: meiner einen Lebenswunschveränderung, die mich endlich ein für allemal zufrieden macht. Neue Wohnung. Neuer Job. Ins Ausland, so weit weg wie möglich, vielleicht sogar ohne festen Wohnsitz, Vanlife. Hauptsache anders, Hauptsache weg. Flucht. Jetzt.

In diesen Phasen meines Lebens habe ich keine Angst. Denn ich weiß, dass es schmerzlicher wäre, in dem zu verharren, was ist. Das fühlt sich an wie eine Urmacht, die mich fortreißt. Unbezähmbar, ununterdrückbar, alternativlos. Wie eine Welle, die sich immer weiter aufbaut und die erst dann brechen kann, wenn ich endlich gefunden habe, was ich suche.

Für Björn ist das schwierig, denn manchmal betreffen ihn diese Entscheidungen auch. Gerade beim Thema Wohnen (alles andere ist ja im Grunde meine alleinige Entscheidung). Er ist in sich genügsam, er mag unser Leben, unsere Wohnung, unsere Verwurzelung hier. Es macht ihn betroffen, dass ich Dinge, die eigentlich in Stein gemeißelt scheinen, so regelmäßig radikal hinterfrage. Und natürlich auch die Art, wie ich es tue. Ich weiß, dass ich in diesen Phasen weder differenziert noch geschickt bin. Und furchtbar anstrengend. Ich weine viel, ich dünste die Verzweiflung aus, diese große Sehnsucht, endlich irgendwo anzukommen und es gut sein zu lassen. Er weiß dann kaum, wie er mich trösten soll. Kann er ja auch nicht – denn die einzige Kur wäre Veränderung. Und die geht manchmal nicht so schnell, wie es für mich nötig wäre.

Meine Angst, die kommt später. Abends. Oder spätestens dann, wenn endlich alles geregelt und geklärt, alte Verträge gekündigt sind und nichts mehr zwischen mir und der großen Veränderung steht, die ich so unbedingt wollte, dass ich nachts kaum noch schlafen konnte.

Auge in Auge mit dem großen Neuen werde ich dann ganz klein. Denn neben der Getriebenheit ist da ja auch die Angst vor Veränderung. Wenn ich die Zahnrädchen des Lebens ächzen und quietschen höre, wenn Altes herausgebrochen und Neues eingepflanzt wird, spüre ich regelrechte emotionale Schmerzen, Loslösungsschmerzen, Transplantationsfremdheitsgefühle. Ich schaffe das, habe ich ja schon oft. Und dennoch fühlt es sich dann meist nicht nach der großen Befreiung an. Sondern erstmal nach – ja, eben einem Überleben statt Leben.

Es gibt kein Leben ohne Veränderung. Doch natürlich ahne ich, dass die Art, wie das bei mir passiert, nicht gesund ist. Oder vielleicht ist sie das grade? Denn wann, wenn nicht dann, habe ich denn die Kraft für große Veränderungen und Verbesserungen, für Entwicklungen? Das Momentum, den Schwung, die Macht dieser Phasen nutzen, statt sie zu fürchten – das bringt mich weiter. Ein bisschen, als ob man auf einem wahnsinnig kräftigen Wasserstrom surft. Er ist da, er ist stark und man kann sich überlegen, was man mit dieser Kraft anfängt. Mit ihr zu gehen statt dagegen anzukämpfen ist doch das einzig Sinnvolle. Sagt uns auch das Buch „Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky.

Generell nicht immer gegen alles anzukämpfen. Nicht alles und alle mit viel Kraft festzuhalten. Sondern das Getriebensein in Getriebenwerden zu verwandeln, in Sichtreibenlassen. Loszulassen. Wegfliegen und wegtreiben zu lassen, was wegfliegen und wegtreiben möchte. Es so sein zu lassen, wie es nunmal sein will. Nicht mich in Frage zu stellen mit dem, was ich so drängend fühle, sondern es als gegeben anzusehen. Endlich mal zuzuhören, statt sich die ganze Zeit über diese mir so fremd scheinende Urkraft in mir zu wundern. Zu akzeptieren, im Lauf des Lebens zu gleiten wie ein Stück Treibholz in einem Fluss, demütig und lernend, voller Vertrauen darauf, dass es schon richtig sein wird so. Und dadurch fast ohne Zutun weiter zu schwimmen als jemals zuvor.

4 Kommentare

    1. Wenn das so einfach zu beantworten wäre. Aber die Frage ist sehr wichtig! Auf jeden Fall nichts, das eine neue Frisur oder ein anderer Job uns allumfassend geben können. Ich glaube ja, die meisten Antworten sind schon in uns selbst, wir müssten nur mal besser zuhören durch beten oder Meditation.

  1. Mit deinem Beitrag fühle ich mich so gut getroffen: auch immer auf der Suche. Zu lange im selben Job, in derselben Wohnung leben, keine Herausforderungen mehr bestehen müssen und damit keine neuen Erfahrungen machen können, drückt mich nieder. Ich brauche das Gefühl mich verändern zu können, wie die Luft zum Atmen.
    Auch die Angst kenne ich, wenn ich mutig Neues angehe und realisiere, dass ich mich durch große Veränderungen aus der Komfortzone heraus bewege, in der mein Umfeld sich gerne eingerichtet hat.
    Aber es gibt ein paar Konstanten in meinem Leben, die mich glücklich machen: die Beziehungen zu meinem Mann, meinen Kindern und Freund*innen…und wenn Veränderung möglich ist im Einklang mit meinen Lieblingsmenschen.
    Danke Anne für deinen Impuls.

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