
Es gibt Momente, da fühle ich mich stark wie ein Baum. Unerschütterlich, tief verwurzelt, den Ansprüchen des Lebens gut gewachsen. Und dann sind da diese anderen Momente, in denen ich mich nicht so fühle. Dann zweifle ich an mir selbst, an meinem Selbstwert, an den Entscheidungen, die ich treffe. Kein schönes Gefühl. Bei mir sind diese dunklen Stunden oft wortwörtlich in den dunklen Stunden – nach Einbruch der Dunkelheit fühle ich mich schwächer, verwundbarer.
Gerade, wenn man wichtige Entscheidungen zu treffen hat, die ein wenig Mut erfordern, kann das ganz schön anstrengend sein. Morgens wache ich auf und denke: Ja großartig, ich schaffe es, wir schaffen es, wir machen das! Abends sitze ich im Sessel und frage mich, wie ich eigentlich auf die Idee komme, das zu schaffen – und ob ich mir nicht selbst etwas vormache. Eine ziemliche Gefühlsachterbahn also, die mich nicht selten an die schlimmsten Zeiten meiner Schilddrüsenkrankheit erinnert.
Manchmal frage ich mich, ob ich die einzige bin, der das so geht. Dann wiederum, meist im Hellen, vermute ich, dass es vielen so geht. Vielleicht hat die Natur es sogar so eingerichtet, dass wir Menschen im Dunklen weniger Risikofreude verspüren, um uns vor realen Gefahren zu schützen. Räuber im dunklen Wald, Unfälle, die passieren, wenn wir nicht gut sehen … Gründe gäbe es genug.
Abgesehen vom Hell und Dunkel ist das Thema Schwäche-Zeigen eines, das mich in den vergangenen Wochen intensiv begleitet. Private Entscheidungen, die getroffen werden müssen, kleines und großes Ruckeln im Beruflichen und Privaten. Und ich mittendrin, die immer versucht, ihr Pokerface zu behalten.
Wie gut mir das gelingt, ist mir vor Jahren einmal deutlich geworden. Bis dahin dachte ich immer, meine Unsicherheiten lägen für alle so deutlich sichtbar offen, wie sie sich für mich anfühlten. Damals briet ich Rührei für Freunde, die zu Besuch waren, und hatte ein kleines Stückchen Schale übersehen, das ins Ei gefallen war. Der Mann meiner Freundin biss darauf und sagte freundlich: „Das macht nichts, das macht dich gleich ein wenig menschlicher.“
Damals nahm ich mir vor, meine Unsicherheiten vielleicht einfach mal öfter zu benennen und zu zeigen. Aber ich gebe zu, ich bin nicht besonders gut darin; lieber spiele ich darüber hinweg und lasse mein Umfeld glauben, ich sei immer selbstbewusst, immer auf Kurs, wisse immer, was ich tue.
Ich finde, für uns Frauen, in der heutigen Zeit, ist es auf eine ganz eigene Art sehr schwer, Schwäche zu zeigen. Vielleicht auch gerade für Frauen in meinem Alter und jünger. Denn dazu sind wir nicht erzogen worden. Vielmehr sind wir aufgewachsen und angetreten mit dem Anspruch, als Person und Partnerin absolut gleichwertig zu sein, beruflich das Gleiche erreichen zu können wie Männer, uns selbst finanzieren zu dürfen und zu müssen, alles gleichzeitig zu schaffen und im Grunde niemanden zu brauchen und uns auf niemanden zu verlassen. Dass es im Job nicht immer leicht ist, trauen wir uns dann oft gar nicht deutlich zu sagen, wir wollen das ja alles so und können es auch. Mütter sind noch einmal in ganz besonderer Weise von diesem Starkseinwollenmüssen betroffen – sie beklagen sich nur ganz selten in dem Ausmaß, in dem sie sich eigentlich beklagen wollten und müssten.
Und dann ist da noch das Berufsleben. Ich gehöre ja zur Generation „Befristete Jobs“ und musste von den 20 Jahren meines Berufslebens fast 18 Jahre lang immer Gas geben, immer kämpfen, immer angeknipst sein und gut drauf sein, bei allen Aufgaben immer „Hier!“ rufen, in der Hoffnung, irgendwann entfristet zu werden. Wie sehr mich das geprägt hat, merke ich auch jetzt noch, in einem endlich unbefristeten Job. Wenn ich da mal einen Fehler mache, wenn plötzlich durchscheint, dass ich nicht perfekt bin, packt mich sofort die Angst.
Wie gut, wenn drumherum Menschen sind, die mich beruhigen und mir sagen, dass Fehler eben manchmal passieren – und die mir zu verstehen geben, wenn auch in anderen Worten, dass mich das „gleich menschlicher macht“. Oder, wie meine liebe Kollegin es letztens ausdrückte, als ich ihr von einem Patzer berichtete, der mir im Job passiert war: „Jetzt haben die Anderen gemerkt, dass du auch nur ein Mensch bist. Und das ist dir unangenehm?“ Sie sagte das schmunzelnd, aber genau das war es: Es war mir unangenehm, dass meine Menschlichkeit so deutlich zum Vorschein getreten war.
Zum Glück arbeite ich ja für die katholische Kirche – und kann mich damit trösten, dass sogar Jesus in seiner Menschlichkeit unsicher war, Zweifel hatte, vielleicht auch Fehler gemacht hat, aber das immer okay war. Denn das kommt nunmal mit dem Menschsein.
„Eine gute Schwäche ist besser als eine schlechte Stärke.“ Das schrieb einst der armenisch-französische Chansonnier Charles Aznavour. Und er hat Recht. Hiermit gebe ich bekannt: Ich bin nur ein Mensch. Und ich fühle mich oft schwach, ungenügend, habe Zweifel. Vielleicht, wenn wir alle ein Stückweit mehr dazu stehen, wird es normal, offen damit umzugehen.
Hallo Anne,
ich bin über FB und Michael Forst auf deinem Blog gelandet. Jetzt habe ich gerade diesen ersten Beitrag gelesen, den ich wirklich interessant fand. Schon deshalb, weil ich genau andersherum funktioniere. Abends habe ich immer tolle Ideen und fühle mich super, morgens sieht es dann eher grau aus. Glücklicherweise relativieren sich die beiden Zustände dann während des Tages.
Herzliche Grüße – Elke
Guten Morgen liebe Elke, das ist ja interessant. Ist es dann bei dir auch so, dass du dir, wenn du morgens mutlos bist, selbst sagst: „Es liegt nur an der Tageszeit“? Und war das bei dir schon immer so oder gab es da irgendwann mal eine Verschiebung? Ich habe früher nachts auch besonders gut „funktioniert“ und als junger Mensch zum Beispiel bevorzugt nachts geschrieben. Irgendwann hat sich das verändert, seitdem ist meine kreativste Phase früh am Morgen. Mein aktuelles Buch habe ich zum Beispiel immer morgens zwischen sechs und acht geschrieben, jeden Tag zwei Stunden, bevor ich auf die Arbeit musste. :) Schon spannend mit dem emotionalen und psychischen „Biorhythmus“.
Viele liebe Grüße, Anne
Ich denke, dass diese Geschichte schon eher etwas pathologisch ist. Ich hatte mal starke psychische Probleme und da gibt es immer noch „Restbestände“. Meine Bücher habe ich tatsächlich immer eher in der Nacht geschrieben.
Liebe Grüße – Elke