#psyche: Diese Enttäuschung … oder: Verspiegelte Fenster

Foto: Kadarius Seegars

Im Juni habe ich Euch erzählt, dass wir uns – fast unbemerkt – ein kleines Häuschen gekauft haben. Seitdem war es hier still um mich, denn wir haben alle Zeit, die uns neben der Arbeit blieb, damit verbracht, Böden abzuschleifen, Fliesen zu lackieren und einen Katzenzaun im Garten zu bauen. Vor fünf Tagen sind wir nun endlich eingezogen, und natürlich herrscht seitdem erstmal Chaos. Und zwar kein dekoratives Chaos, bei dem ein beiger Kaschmir-Schal selbstvergessen über einer völlig intakten Umzugskiste drapiert liegt. Sondern ein herzhaftes, ein schmutziges, ein schmerzhaftes Chaos, an dem man sich dauernd stößt und sich blaue Flecke holt. Ein Chaos, das einen wünschen lässt, endlich mal staubsaugen zu können. Ein Chaos, das nervt und ausgehalten werden muss, auch wenn es schwer fällt.

Der beige Kaschmirschal, das ist gerade eher in unserer alten Wohnung der Fall. Die ist seit dem kraftzehrenden und äußerst regenreichen Umzugstag nämlich so gut wie leer – und dank unseres Putzeinsatzes für eine direkt auf den Umzug folgende Besichtigung vergangene Woche auch halbwegs sauber. Wenn ich da bin, denke ich mir gerade oft: Wie schön es dort ist. Hell. Und groß. Und hell. Denn hier, in unserem Chaos-Haus, sind die Decken ja viel niedriger und die Fenster lassen weniger Licht rein. Außerdem stapeln sich die Kisten in manchen Räumen noch so hoch, dass sie die Fenster zum Teil verdecken. Und das herbstliche Regenwetter trägt auch nicht gerade dazu bei, dass das Wohnzimmer lichtdurchflutet ist.

Ich bin momentan etwa alle zwei Tage in der alten Wohnung, die wir noch bis Ende August haben. Weil dort noch einige Möbelstücke stehen, die ich versuche, zu verkaufen – und weil vereinzelt auch noch andere Dinge von uns dort sind, diese ganzen Kleinigkeiten, die man irgendwie übersieht beim Ausziehen. Vorhangstangen zum Beispiel. Als ich gestern ohnehin dort war, habe ich die Stangen abgeschraubt, und irgendwie kamen mir dabei die Tränen. Ich bin gar nicht untröstlich traurig, dass wir dort nach zweieinhalb Jahren wieder ausgezogen sind, denn irgendwie war die Wohnung nicht das Richtige für uns, sie war zu laut, zu steril, zu in-der-Stadt und ja, auch zu hell (lustig, oder? Aber das durch die Oberlichter fallende Sonnenlicht hat mich mehr als einmal morgens geweckt, wenn ich eigentlich noch hätte weiterschlafen können).

Warum also weine ich trotzdem beim Vorhangstangen-Abschrauben? Weil ich an all die Hoffnungen denken musste, die wir hatten, als wir dort eingezogen sind. Jetzt spüre ich nur noch eine große Enttäuschung dieser Wohnung gegenüber. Vielleicht ist sie auch von uns enttäuscht. Mit Sicherheit sogar.

Rückblick Dezember 2020.

Zehn Jahre wohnten wir in unserer Dachgeschosswohnung ohne Balkon, als die böse Nachricht kam: Die Wohnung sollte verkauft werden, weil das Vermieterpaar sich getrennt hatte. Nach langen Überlegungen, ob Kauf eine Option für uns wäre, beschlossen wir, sie nicht zu kaufen, sondern uns nach etwas anderem umzusehen. Wir wollten endlich Platz haben, endlich nicht mehr die Köpfe einziehen müssen, endlich einen Außenbereich und im Sommer nicht mehr schier umkommen vor Hitze. Wir wollten Menschen zu uns einladen, in ein schöneres Viertel ziehen, mehr Lebensqualität einfach.

In diesem Mindset fand ich eine 100-Quadratmeter-Wohnung in einem Viertel mit süßer kleiner Fußgängerzone, die mir schon immer gefallen hatte. Großer Haingraben: Drei großzügige Zimmer, zwei Bäder, zwei (!) Balkone und Blick aufs Kloster, Kelkheims Wahrzeichen. Ich war sofort verliebt in die Idee, uns dort ein neues City-Leben aufzubauen.

Als wir die Zusage für die Wohnung bekamen, waren wir sehr glücklich. Im Februar 2021, mitten im schlimmsten Lockdown, zogen wir ein. Vieles fanden wir ganz großartig, zum Beispiel, dass ein Supermarkt genau gegenüber war. Auch, dass unter uns zwei Geschäftsräume waren, eine Steuerberaterin und eine Kinderpsychologin, denn so war auch tagsüber immer etwas Leben im Haus. Oben, neben uns, gab es nur noch eine weitere Wohnung, die von einem stillen älteren Ehepaar bewohnt wurde. Unaufdringliche Leute, mit denen wir kaum je ein Wort wechselten außer Hallo und Tschüß.

Und mit Hallo und Tschüß sind die zweieinhalb Jahre, die wir im Großen Haingraben verbrachten, auch gut überschrieben.

Denn wir wuchsen nicht fest dort. Irgendwie fehlte das Herz. Dass die Fenster des gesamten Wohnkomplexes nach außen verspiegelt waren, scheint mir im Nachhinein fast sinnbildlich dafür zu sein, wie anonym und glattkühl dort alles war. Den kleinen Balkon, der in den Innenhof und zu den vielen verspiegelten Fenstern zeigte, wollten wir nicht mal zum Kräuter-Anpflanzen benutzen. Der Große wies in Richtung Penny und Parkplatz, so dass es nicht gerade leicht fiel, dort einen schönen Sommertag lesend zu verbringen.

Irgendwie war an diesem Haus für jemanden wie mich einfach alles zu laut, zu groß, zu überfordernd. Der Supermarkt genau gegenüber machte fast rund um die Uhr Krach, Autos hupten auf dem Parkplatz, die Einkaufswagen rasselten. Das Wohnzimmer der Wohnung war riesig – für zwei Menschen war das fast schon irritierend viel Platz. Also kauften wir zusätzliche Möbel, die sich bald mit zusätzlichem Kram füllten, denn irgendwas musste ja dort stehen, und rückten die Couch hin und her, hin und her, weil die schiere Größe des Zimmers einfach zu viele – oder zu wenige? – Möglichkeiten bot, sich gemütlich einzurichten.

Irgendwann – und nicht erst, seitdem es Unstimmigkeiten mit unseren Vermietern wegen einer Nebenkostenabrechnung gab – musste ich mir eingestehen: Ich fühle mich dort nicht wohl. Das anzuerkennen war schmerzhaft, denn wir hatten zwischenzeitlich schon viel Arbeit und Geld und eben auch Hoffnungen in diese Wohnung gesteckt und auch eine neue Küche einbauen lassen. Aber so ist das eben: Je länger man auf dieser Welt ist, desto besser versteht man sich selbst und wie man leben möchte. Dieses Lernen ist schmerzhaft und es kostet, doch es macht auch schlauer. Und ich glaube und hoffe, dass wir deshalb unser kleines Häuschen besser aussuchen konnten, als wir es noch vor zweieinhalb Jahren gekonnt hätten. Weil wir aus der Erfahrung mit der Stadt-Wohnung gelernt haben.

Fünf Nächte haben wir nun schon hier verbracht, in unserem Häuschen in einem ruhigen Dorf im Hochtaunuskreis, in dem wir vom Schlafzimmer aus über unseren kleinen Garten auf die Bäume schauen. Und wenn ich morgens aufwache, egal ob wochentags oder sonntags, ist es einfach unglaublich schön still. Ja, wir fahren jetzt mit dem Auto zum Supermarkt. Aber das haben wir die zehn Jahre zuvor auch getan. Ich glaube fest daran, dass diese zweieinhalb Jahre nicht umsonst waren. Und deshalb muss man auch eigentlich gar nicht darum weinen. ;)

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