Die Illusion der abgehakten To-Do-Liste

Foto: David Todd McCarty

Zum Glück habe ich hier noch nie regelmäßig gepostet. Anders als so manche andere Bloggerin, die ich kenne, gab es bei mir nie feste Tage, an denen Texte online gehen müssen. Momentan bin ich darum extra-froh, denn dieser Tage und Wochen ist bei mir beruflich so viel zu tun. Fast zu viel. Das rächt sich, merke ich: Wenn ich frei habe, liege ich oft nur auf der Couch und schaffe mit viel gutem Zureden (ich mir selbst) grade noch so den Haushalt. Dabei entspanne ich mich nicht mal. Ich. Kann. Einfach. Nur. Nicht. Aufstehen. Und kriege deshalb kaum was auf die Reihe.

Dabei gibt es so viel, was ich hier erzählen könnte, so viele Gedanken und Erlebnisse der letzten Zeit. Von meinem schönen langen Wochenende in Belgien am Meer könnte ich zum Beispiel schreiben, dem superguten Buch, das ich dort in einem Trödelladen gekauft habe (sowas von intensiv und tief; wenn ich es schaffe, schreibe ich hier mal was drüber) – oder von der Überforderung, die Hochsensible in stressigen Zeiten anders empfinden als andere Menschen.

Suche nach einer Überlebensstrategie

Die Forderung, teils Überforderung auf der Arbeit, die noch bis Weihnachten anhalten wird, hat mich dazu gezwungen, das, was ich tue, mal mit Abstand zu betrachten. Und eine Überlebensstrategie zu entwickeln. Da ich in meinem Bereich die einzige bin, kann ich Dinge nicht auslagern. Ich muss mich um alles selbst kümmern – und wenn es viel ist, bleiben Sachen länger liegen, als ich es mit meiner eigenen Arbeitsmoral vereinbaren kann. Das stresst mich noch zusätzlich. Ein blödes Gefühl.

Hier kann die Priorisierung helfen. Natürlich gehört das längst zu meinem Leben, beruflich und privat. Anders würde es ja gar nicht gehen. Aber ich glaube, dass ich dieses Tool noch nicht genug nutze (Lesetipp: Hier gibt es einen ganz guten Artikel auf karrierebibel.de dazu). Denn Priorisierung sah bei mir bisher lediglich so aus, dass ich meine To-Do-Liste nach wichtig, mittelwichtig und weniger wichtig sortiert habe. Erledigt habe ich aber trotzdem alles sofort und brav direkt nacheinander, auch wenn das bedeutet hat, dass ich jeden Tag Überstunden gemacht habe. Wenn ich mal etwas nicht geschafft habe (das kam regelmäßig vor), war ich genervt von meiner eigenen Misperformance und ging mit einem schlechten Gefühl nach Hause.

Fixiert aufs Fertigwerden

Diese Fixierung, alles fertig kriegen zu müssen, bevor man Feierabend machen darf, kommt noch aus Zeiten, in denen ich bei einer Tageszeitung gearbeitet habe. Konkret aus FNP-Zeiten, denn die wird – oder wurde zumindest damals, als ich dort war – um 23 Uhr angedruckt. Bis dahin hatte man Zeit, Dinge auf den Seiten zu verändern. Natürlich haben wir nicht jeden Abend bis 23 Uhr gearbeitet, aber ebenso selbstverständlich konnten wir erst dann nach Hause gehen, wenn die Seiten fertig waren.

Diese Haltung, dass alles fertig sein muss, bevor man Freizeit haben kann, ist mir in 13 Jahren FNP selbstverständlich geworden. Als ich 2015 zur Ärzte Zeitung wechselte, die täglich um 15.30 Uhr fertig sein musste, war das eine noch kompaktere Form des Stresses. Von zehn bis elf wurden dort die Themen festgeklopft, viereinhalb Stunden später musste alles fertig sein: die Seite gestaltet, die Texte geschrieben, die Interviews geführt und freigegeben, Fotos organisiert. Ganz klar, dass da oft genug keine Zeit für Mittagessen blieb.

Vorarbeiten, um nicht nachzusitzen

Der große Vorteil bei dieser Art der Tagesgestaltung war, dass nach 16 Uhr, wenn man halbwegs wieder zur Besinnung kam, ein bisschen Ruhe einkehrte. Diese Zeit wurde traditionell dazu genutzt, einen Kaffee zu trinken, mal ein Wort mit dem Büronachbarn zu wechseln und vor allem, die Themen der übermorgigen Ausgabe vorzubereiten. Das ging ganz gut, weil der Druck weg war – aber zugleich war klar: Was man am Nachmittag und Abend nicht schafft, wird einen am nächsten Tag quälen und wertvolle Zeit kosten. Deshalb gilt es, auch die unwichtigeren Dinge noch schnell zu erledigen, bevor man geht, damit sie einen nicht irgendwann einholen.

Foto: Karsten Winegeart

Ich staune immer über Jobs, in denen man seine geforderten Stunden arbeitet und dann nach Hause geht. Oft genug wünsche ich mir, mein Leben wäre auch so. Und doch glaube ich, ich würde mich langweilen. Ein bisschen so war es bei dem Gesundheitsmagazinverlag, bei dem ich nach der Ärzte Zeitung für eineinhalb Jahre gearbeitet habe, bevor eine Entlassungswelle mich mit hinaus gespült hat. Da hatte ich keine Projektverantwortung, konnte in der Regel pünktlich um 16 Uhr Feierabend machen (freitags sogar schon um 14 Uhr, absurd) und lief halt so mit. Man könnte meinen, dass ich damals ausgeglichener war als jetzt. Aber die Wahrheit ist: Ich fühlte mich total unterfordert. Und ich merkte, ich machte sowieso nichts sinnvolles mit meiner vielen freien Zeit. Ich streamte Serien, kochte und backte halt mehr als früher, der Haushalt war irgendwie besser in Schuss. Aber glücklicher war ich deswegen nicht.

Draufpacken, um nicht verrückt zu werden

Wenn dieser Job länger angedauert hätte (was er zum Glück nicht hat, sonst wäre ich nie auf meiner jetzigen Stelle gelandet), hätte ich mir vermutlich irgendeine Art von ehrenamtlicher Tätigkeit suchen müssen, um nicht verrückt zu werden. Oder so ein super aufwändiges Hobby, das Zeit und Geld und Nerven kostet. Aber auf Dauer so leer und ziellos und unterfordert auf Sparflamme weiterzuköcheln, hätte mich nur traurig gemacht. Und mir im Extremfall irgendwann ein Bore-out beschert.

Damals begriff ich: Um berufliches Glück zu empfinden, muss ich gefordert sein. Gerne auch mal an der Schwelle zur Überlastung, wenn es nicht dauerhaft ist. Ich brauche diesen Kick, diese Gratwanderung, diesen Rodeo-Ritt, bei dem ich mich ans Pferd oder den Bullen klammere und versuche, durchzuhalten. Denn so bin ich als junge Journalistin geprägt worden. Auch wenn dieses Muster auf Dauer gesundheitsschädlich ist, fühle ich mich doch nur dann zufrieden, wenn es auch bedient wird. Ein Dilemma. Aber da ich keine Kinder habe und – außer dem Schreiben – auch keine richtigen Hobbys, ist mein Leben automatisch darauf ausgelegt, auf der Arbeit alles zu geben. Und wenn das nicht abgerufen wird, kippt mein Gleichgewicht.

Aber … Gratwanderung bedeutet eben, auf der Grenze zu balancieren, nicht, sie dauerhaft zu überschreiten. Und hier kommt die Priorisierung ins Spiel. Denn wenn ich immer auch die unwichtigen Dinge abarbeite, statt sie einfach liegen zu lassen, nutzt mir das ganze Priorisieren nichts, denn die Arbeit wird nicht weniger.

Bewusst delegieren ist keine Option

Also habe ich vergangene Woche erstmals angefangen, die nicht-zeitkritischen Dinge auch mal bewusst liegen zu lassen. Und siehe da, so manches erledigt und überholt sich von selbst nach ein paar Tagen. Entweder, weil ein Auftrag zurückgepfiffen wird, oder, weil es sowieso dauernd neue Versionen eines Dokuments gibt, das dringend hochgeladen werden muss, oder, oder, oder … Manches delegiert sich auch von selbst, weil sich herausstellt, dass ein Anderer sich längst darum gekümmert hat. Delegieren wird ja auch immer als Zauberformel genannt, wenn es darum geht, sich die Überforderung vom Hals zu halten. Aber bislang gelingt mir das so gar nicht, und zwar aus Überzeugung. Denn ich weiß, alle anderen sind ja auch kurz vor der Überlastung. Also lieber Klappe halten und selbst machen. Hmpf.

Foto: Tim Mossholder

Ich weiß, für wen ich bisher immer auch die unwichtigeren Dinge täglich abgearbeitet habe: Für mich selbst, für die Anne von morgen, die sich wünscht, sie hätte die alten Dinge gestern schon erledigt, damit sie sich nun den neuen Dingen widmen kann.

Aber irgendwann in diesem Denkprozess ist mir aufgegangen, dass ich niemals fertig sein werde mit all den Aufgaben. Dass auch die Anne von morgen nicht erwarten kann, immer morgens neu starten zu können. Und dass es deswegen auch keinen Sinn macht, abends länger zu bleiben, damit ich am nächsten Tag mit null Mails und null Aufgaben neu durchstarten kann. Die leere To-Do-Liste ist einfach eine Illusion, so ist das Leben nicht. Das Leben besteht aus täglich neuen Dingen, aus Überraschungen, die alles über den Haufen werfen – und aus der Kunst, die Welle zu reiten.

Also: Liegen lassen. Und lernen, damit zu leben.

Oder wie seht Ihr das?

7 Kommentare

  1. Die Sache mit der Rasierklingenritt-Prägung kann ich nur unterschreiben. Komplett abgearbeitete To-do-Listen kenne ich praktisch nicht. Aber dass sich der Bodensatz irgendwann selbst erledigt, kann ich bestätigen. :D
    Gutes Erholen wünsche ich dir!

    1. Und wie gehst du damit um, dass immer etwas übrig bleibt, das noch erledigt werden muss? Würde mich interessieren, gerade weil du die gleiche Prägung erlebt hast.

      1. Man stumpft halt so ab. Ätzend sind die Momente, wenn man mit Nichterledigtem konfrontiert wird. Wenn z.B. Leser:innen nachfragen, weil ich ihre Anfrage seit zwei Wochen nicht beantwortet habe. Andererseits, gut, das ist bei mir halt auch alles unbezahlte Arbeit. Deshalb lasse ich das auch ohne allzu schlechtes Gewissen liegen oder halt in den Bodensatz der To-do-Liste diffundieren. Das Wichtige schaffe ich ja (auch wenn dafür in Stresszeiten immer wieder eigentlich essenzielle Dinge wie Mittagessen oder ausreichend Schlaf gestrichen werden müssen). Doof ist, wenn ich Dinge, die ich eigentlich gerne mache, schieben und schieben und schieben muss. Dir schreiben zum Beispiel. ;) Meine halbe E-Mail hast du aber gekriegt, oder?

      2. Ja, und mich sehr gefreut! UND mir fest vorgenommen, zu antworten – wenn irgendwann bald mal Zeit ist. 🙈 Tragik des Lebens, ehrlich.

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