#schreiben: Meine Kurzgeschichte im Corona-Band

Foto: Ella Jardim / unsplash.com

Ich weiß nicht, ob das überhaupt jemandem aufgefallen ist. Aber ich schreibe nicht mehr so viel Fiction wie früher. Also eigentlich gar keine mehr. Und zwar schon seit Frühling 2018. Wahrscheinlich führt es zu weit, dass jetzt alles zu erklären, aber runtergebrochen ist es so: Seit meiner Schilddrüsen-OP schreibe ich kaum noch über Dinge, die nicht wirklich passiert sind. Es strengt mich an, es ist mühsam, ich sehe den Sinn nicht so recht. Es ist nicht so, dass ich es verlernt hätte, ich habe nur einfach kein Bedürfnis mehr, mir etwas auszudenken.

Ich weiß nicht, woran das liegt, ob das einen medizinischen Grund hat oder ich einfach einen Entwicklungsschub als Schreiberin erlebt habe, der mich weg vom Fiktiven geführt hat. Einmal habe ich seitdem einige Wochen an einem neuen Roman geschrieben, sowas wie glueckskind2, aber es hat mich sehr angestrengt, dranzubleiben – auch wenn die Phasen, in denen das Schreiben von selbst passiert ist, toll waren. Aber sie kamen immer seltener, irgendwann war ich raus und der Gedanke, dort weitermachen zu müssen, hat mich nur noch gestresst. Ich hoffe immer noch, dass es mich irgendwann wieder dorthin zurückzieht, aber momentan respektiere ich meine eigenen Bedürfnisse und zwinge mich nicht zur Prosa.

Stattdessen schreibe ich lange Blogbeiträge über psychologische Fragen und Reiseziele, verfasse epische Reportagen und Artikel für meine Arbeit – und ab und zu auch mal ein bisschen Lyrik, allerdings auch das eher als Reflektion auf tatsächliche Ereignisse.

Das führt dazu, dass ich derzeit kaum neue literarische Veröffentlichungen vorweisen kann oder Lesungen halte. Das ist okay für mich, auch wenn es mir manchmal ein bisschen weh tut, weil ich das eigentlich immer toll fand, meine Seele aber offenbar momentan einen anderen Weg gehen will.

Meine erste Veröffentlichung seit langem

Nun gibt es aber eine Ausnahme: Gerade ist ein neues Buch erschienen, zu dem ich eine Kurzgeschichte beisteuern durfte. Ein Kurzgeschichtenband zum Thema Corona, herausgegeben von meinem früheren Lehrer Gerd Müller-Droste, den ich sehr schätze und dessen unermüdliche Kulturaktivitäten ich bewundere. Über das Buch („Liebende … auf Mindestabstand“, erschienen beim Verlag Edition Pauer) wurde in den lokalen Medien im Vorfeld viel geschrieben und berichtet (zum Beispiel im Höchster Kreisblatt). Unter anderem, weil der Main-Taunus-Kreis zu den Förderern gehört (daher gibt es auch ein Grußwort des Landrates) und auch der Schwalbacher Verein „Jamali Diversity Culture“ beteiligt ist, der von dem aus Afghanistan stammenden Fußball-Profi Modjieb Jamali gegründet wurde. Vor allem aber haben sich 60 Autorinnen und Autoren aus dem Rhein-Main-Gebiet mit Gedichten und Geschichten, persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen des Ausnahmezustands beteiligt. Diese Vielfalt macht die Anthologie zu einer regelrechten Bestandsaufnahme des merkwürdigen Jahres 2020. Daher auch der Untertitel: „Ein besonderes Buch in besonderen Zeiten“. Leider konnte ich bei der großen feierlichen Buchvorstellung im Bürgerhaus vergangene Woche nicht dabei sein, aber ich freue mich sehr, dass GMD, wie Herr Müller-Droste sich selbst abkürzt, meine Kurzgeschichte „Nackt“ mit ins Buch genommen hat.

Meine Kurzgeschichte „Nackt“ hat es in die Corona-Anthologie geschafft. Foto: privat

Sehr geschmeichelt fühle ich mich, dass die FAZ-Redakteurin Florentine Fritzen für den Einstieg in ihren Artikel über das Buch ausgerechnet meine Kurzgeschichte herausgepickt hat:

Nach drei Seiten innerem Monolog ist Lena an der Kasse angekommen, hat die neuen Klamotten bezahlt, den Laden verlassen und sich die Stoffmaske vom Gesicht gerissen. Es ist der Corona-Sommer 2020, in der Warteschlange hat Lena unter dem Mund-Nasen-Schutz geschwitzt, um Atemluft gerungen, um ihr Leben gebangt und sich jede Menge tiefgründiger Gedanken über Maskenpflicht, Mimik und Make-up gemacht. Als das Gesicht draußen befreit ist, beschleicht die Frau ein ungewohntes Gefühl: Ohne Mund-Nasen-Schutz fühlt sie sich nackt.

Die Kurzgeschichte „Nackt“ der Kelkheimerin Anne Zegelman ist ein Beitrag aus dem Band „Liebende . . . auf Mindestabstand“, der auf gut 200 Seiten 80 Geschichten, Gedichte und Reflexionen von Autoren vor allem aus dem Main-Taunus-Kreis versammelt.

„Bis vor kurzem war es für mich ein exotisches Bier“, Artikel von Florentine Fritzen, erschienen am 15.10.2020 auf faz.net

Das ist zwar einerseits sehr schmeichelhaft, andererseits finde ich, dass es so viele andere tolle Beiträge in dem Buch gibt, dass meine etwas fantasielose Geschichte, die ich nach einem Erlebnis an der Kasse im MTZ mal eben niedergetippt habe, eigentlich nicht exemplarisch für sie alle stehen darf.

Deshalb empfehle ich, das Buch zu kaufen und sich selbst ein Bild zu machen. Und es vielleicht auch zu verschenken, zum Beispiel als kleine Aufmerksamkeit zu Weihnachten oder einfach mal so. Denn dieser Band ist kein Prestigeprojekt, sondern etwas sehr Persönliches und Besonderes, das nur in diesem Jahr so stattfinden konnte – ein Stück Zeitgeschichte. Auch das schreibt die FAZ-Redakteurin in Ihrem Artikel:

Insofern ist das Buch vielleicht vor allem eins: ein Archiv des unvergleichlichen Jahres 2020.

Erhältlich ist die Anthologie „Liebende … auf Mindestabstand“ für 14,80 Euro direkt über die Webseite der Edition Pauer.

Die Anthologie „Liebende … auf Mindestabstand“ ist illustriert mit vielen farbigen Bildern von Mike Kuhlmann. Foto: privat

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