
Schon seit langem beschäftigt mich die Frage, wie man aus der Unendlichkeit von Möglichkeiten überhaupt Entscheidungen fürs eigene Leben treffen soll. Es ist ein reines Luxusproblem, natürlich – aber wenn man das große Glück hat, dass einem theoretisch alle Chancen offen stehen, kann das in Überforderung ausarten. Im Kleinen (Wie richte ich ein Zimmer ein? Welche Frisur ist die richtige für mich?) genauso wie im Großen (Soll ich meinen Partner heiraten oder mich lieber trennen? Bleibe ich in meinem Job oder mache ich doch auf den Bahamas einen Jetski-Verleih auf?).
Nun bin ich, lustigerweise im beruflichen Kontext, in dieser Sache einen Schritt weitergekommen. Wie Ihr vielleicht wisst, arbeite ich als Redakteurin, ich schreibe also Texte und fotografiere auch ab und zu. Früher habe ich auch gerne gelayoutet und gelegentlich mal eine Grafik gebastelt, aber schon lange nicht mehr. Nun wollte mein Team kurzfristig eine Aktion auf den Weg bringen, für die eine Postkarte gestaltet werden musste. Also habe ich angeboten, es zu probieren. Im Meeting hatte sich gezeigt, dass es vier verschiedene „Slogans“ gab, die wir uns dafür vorstellen können. Kurz darauf saß ich am Schreibtisch mit meinem Layout-Programm und beschloss, erstmal alle vier Varianten zu layouten. Dabei kam mir sofort eine Frage in den Kopf, die mich verunsicherte: Sollte ich nicht von jedem „Slogan“ lieber gleich mehrere Möglichkeiten bauen, damit das Team die Auswahl hatte?
Und plötzlich dachte ich: Nein! Das ist meine Entscheidung, sie haben mich damit beauftragt, jeweils einen Weg vorzuschlagen – und erwarten auch zugleich, dass ich diese Vorarbeit leiste. Sie wollen vermutlich überhaupt keine zehn Varianten zu einem Slogan, die sie dann diskutieren müssen. Sie wollen einen starken Vorschlag pro Variante. An dem wir dann immer noch Kleinigkeiten ändern können.
Das war für mich ein regelrechtes Aha-Erlebnis. Plötzlich war mir klar: Es gibt die Rolle des Vorentscheiders, der es den Anderen leichter macht, ihre Wahl zu treffen.
So hatte ich das noch nie betrachtet, vermutlich, weil ich nie an dieser Stelle des Prozesses eingebunden war. Wenn ich einen Text schreibe, treffe ich zwar natürlich auch Entscheidungen, aber meist fühlt es sich für mich so an, als sei die Art, wie der Text dann am Ende gestrickt ist, ohnehin die einzige Möglichkeit gewesen. Da laufen zu viele Entscheidungsprozesse im Verborgenen ab, weil ich diesen Beruf einfach schon so lange mache. Aber zurückgeworfen auf den Anfang, konfrontiert mit einer Aufgabe, die ich nicht oft erfülle, erkannte ich das plötzlich.
Dieses Vorentscheiden ist so ein bisschen wie bei einer politischen Wahl, bei der eben auch nicht alle ins Rennen geschickt werden, die Lust auf eine Kadidatur haben – sondern die Partei entscheidet im Vorfeld, auf wen sie setzen will, und bietet diesen Kandidaten dann an.
Warum wird das so gemacht? Weil die Wahl schwieriger wird, je mehr Menschen antreten. Außerdem bekommen die einzelnen Kandidaten weniger Stimmen, je mehr von ihnen zur Wahl stehen. Ein unklares Ergebnis führt zu einer Stichwahl, und das nervt. Um ein möglichst klares Ergebnis zu erzielen, muss es also eine überschaubarere Anzahl von Optionen geben.
Das bedeutet auch für die Entscheidungen im Leben: Man muss eine Vorauswahl treffen, damit das Votum am Ende klar ausfällt. Betrachtet man alle Möglichkeiten gleichrangig, verwässert das den Entscheidungsprozess, die Profile der einzelnen Optionen sind nicht mehr aussagekräftig genug und die Entscheidung fällt zu schwer.
Ich werde versuchen, in meine persönlichen Entscheidungsprozesse eine Vorstufe einzubauen und mein eigener Vorentscheider zu sein. Zum Beispiel bei der Frage meiner Frisur. Es ist bislang unmöglich für mich, da nur einen Weg zu gehen. Lang oder kurz, hellblond oder lila, oder doch lange Dreadlock-Extensions (hatte ich schon, ein Foto für Neugierige gibt es hier)? Alles ist möglich – und alles ist gleichrangig. Derart entscheidungsschwach schlingere ich durch mein Frisurenleben, habe früher oft spontan regelrechte Komplettveränderungen durchgezogen, die ich dann schnell bereut habe, und werde traditionell von Freunden und Familie belächelt dafür, dass ich auf jedem Weihnachtsfoto anders aussehe.
Die Unfähigkeit, sich bewusst zu entscheiden und dabei zu bleiben, liegt in den unzähligen Kombinationsvarianten.
Und da kann künftig eine Vorsortierung helfen: Statt alle Optionen gleichrangig in Betracht zu ziehen (kurz und aschblond, kurz und hellblond, kurz und lila, mittellang und aschblond, mittellang und hellblond usw.), werde ich mich lieber fragen: Welche Haarlänge möchte ich? Da gibt es nämlich gar nicht so viele Möglichkeiten. Und im zweiten Schritt erst über Details wie die Farbe nachdenken.
Mich interessiert, wie Ihr Eure Entscheidungen trefft, ob Ihr mit Vorentscheidungen arbeitet oder genauso alles gleichranging in Betracht zieht wie ich bisher. Schreibt mir gerne. :)