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Mach dein Handy aus. Jetzt.

Foto: Toni Reed

Am Wochenende unterwegs, unter der Woche heftige Arbeitstage – das ging jetzt erstaunlich lange gut bei mir. Klar, im Überlebensmodus. Aber es ging irgendwie. Mit Kaffee, mit Zucker, mit Meditation, egal mit was, Hauptsache kurzfristig neue Energie. Am Dienstagabend ging es dann aber nicht mehr: Ich konnte nicht mehr. Wollte nicht mehr. Alles war zu viel, alles war anstrengend, meine Finger taten weh, meine Augen brannten, ich fühlte mich gehetzt und gleichzeitig lethargisch, so, als würde ich nur noch auf all das reagieren, das im Sekundentakt an mir zieht und zerrt. Anrufe, WhatsApps, Doomscrollen, YouTube und TikTok, dauerndes Checken, ob neue Nachrichten, neue Mails eingegangen sind, was der Kontostand sagt, ob es wichtige News gibt, was meine Freunde und Chefs zu Mittag gegessen haben.

Ich war im Auto unterwegs und ertappte mich dabei, dass ich im Stau am Handy daddelte, obwohl ich mich schon mehr als gestresst fühlte. Und in all dem, das sich wie ein brausender Sturm anfühlte, schaltete ich einfach mein Handy aus. Und hörte: Nichts mehr. Alles, all das Bedrängtsein, hörte sofort auf.

Ich legte das ausgeschaltete Handy in die Tasche und fuhr in kompletter Stille weiter. Ich hielt am Supermarkt und kaufte ein, nur die Dinge, an die ich mich erinnerte, nicht die vielen Sachen, die auf unserer gemeinsam geführten Einkaufsliste stehen. Natürlich vergaß ich Bio-Müllbeutel. Und Salz. Aber das machte gar nichts, denn ich wusste ja nicht mal, dass ich die Sachen vergessen hatte. Deshalb ärgerte ich mich auch gar nicht. Und es war ja nicht schlimm, dann würde ich sie eben beim nächsten Mal besorgen.

Ich kam daheim an. Ich gab Björn einen Kuss, streichelte die Katzenkinder, goss die Pflanzen auf der Terrasse und freute mich über das satte Grün, ohne ein Foto davon zu machen und es irgendwo hochzuladen. Wir unterhielten uns über unseren Tag, Björn fütterte die Tiere, ich kochte, sah auf die Wanduhr, wie lange die Nudeln brauchten, weil ich ohne Handy keinen Timer besitze. Später saß ich da und schaute einfach nur fern. Und im Bett blätterte ich in einer Zeitschrift, bevor ich das Licht ausschaltete. Keine TikToks weit über die Müdigkeitsgrenze hinaus, keine nach-mitternächtlichen Absprachen mit Kollegen und Chefs, kein Lesen der Tageszeitung vom nächsten Tag in der App.

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt einen solchen Abend hatte. Zum Beispiel, an dem ich einfach nur ferngesehen habe. Denn meistens habe ich auch beim Fernsehen mein Handy neben mir und checke regelmäßig – ja was eigentlich? Messenger, Nachrichten, aber auch solche Zerstreuungsdinge wie Kleinanzeigen, Facebook, Bild.de (ja, ich weiß…). Mein Gehirn hat sich schon so daran gewöhnt, zehn Dinge gleichzeitig zu tun, dass es eigentlich gar nichts mehr richtig tut.

Am Mittwochmorgen habe ich mein Handy wieder angemacht, war überrascht davon, wie wenig WhatsApps aufgelaufen waren, und startete normal mit Nachrichten-App und Yoga in den Tag. Mit einem Unterschied: Als es Feierabend war, schaltete ich es wieder aus. Und habe es seitdem jeden Abend pünktlich zum Ende des Arbeitstages getan. Wer mich erreichen möchte, kann das tagsüber tun. Und wer mich wirklich erreichen können muss, hat meine Festnetznummer. Ja, auch das gibt es noch – und ich bin grade so froh, dass wir uns auch beim jüngsten Umzug wieder für eine Festnetzleitung entschieden haben.

Eine Erkenntnis der ersten Abende ohne Handy ist, dass ich die Wichtigkeit meiner Erreichbarkeit offenbar völlig falsch eingeschätzt habe. Wenn ich nach einem Handyfreien Abend morgens mein Handy anmache, habe ich vielleicht drei oder vier neue WhatsApps. Wenn ich abends mit dem Handy auf der Couch sitze oder im Bett liege, piept es hingegen unaufhörlich. Das lässt nur einen Schluss zu: Ich stricke selbst sehr engagiert an meiner Überkommunikation. Das Immer-Erreichbar-Sein ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und ich gebe es ja zu: Ganz, ganz oft löse ich Kommunikation bewusst aus, weil es mir grade nicht so gut geht, weil ich mich einsam fühle, mir langweilig ist, ich eine kleine Alltagsflucht brauche. Dann schreibe ich Björn oder Freundinnen und Freunden, nehme eine Sprachnachricht auf, schicke meinem Bruder ein lustiges Meme, poste auf Facebook oder in meinen Status. Ich sende einen Ping in die Welt – und hoffe, dass die Welt reagiert. Bis das passiert, kann es aber natürlich ein paar Minuten oder länger dauern – und bis dahin ist meine Flaute vielleicht schon von selbst überwunden. Dann habe ich vielleicht schon wieder gar keine Zeit mehr, mich um die Antworten zu kümmern. Und bin eher genervt von den Nachrichten, die ich selbst heraufbeschworen habe.

Außerdem ziehen Antworten neue Antworten nach sich. Man erzählt und erzählt, über sich und die eigenen Probleme und die Erlebnisse des Tages, Sinnvolles und Sinnloses. Man produziert (sich), man produziert Kommunikation, auf die dann wieder mit Kommunikation geantwortet wird. Stattdessen könnte ich es auch einfach mal sein lassen, könnte auch einfach mal Dinge unausgesprochen lassen, erst recht unwichtige Dinge. Klar kann ich meiner Freundin endlos von der Auseinandersetzung auf der Arbeit, dem Stress in der Familie, dem neuen Regal, das sich so schwer aufbauen ließ, dem teuren Spritpreis erzählen. Ich kann mein Leben erzählen, in allen Einzelheiten. Ich kann es aber auch nicht tun, so wie ich ja früher auch nicht jede Mikroneuigkeit erzählt habe. Ich dachte immer, dass ich meine besten Freundinnen und Freunde so mitnehme über den Tag, sei eine famose Sache. Aber langsam, nach einigen Handyfreien Abenden, frage ich mich: Tut mir das eigentlich gut? So viel Unnötiges von mir zu erzählen, so viel Alltägliches von mir preiszugeben, nur, weil ich in dem Moment gerade über irgendetwas mit irgendwem sprechen möchte?

Ich habe hier auch deshalb seit einem halben Jahr nichts geschrieben, weil ich irgendwann an den Punkt kam, an dem ich mich gefragt habe: Möchte ich mich noch erklären? Möchte ich wildfremde Menschen noch mitnehmen bei meinen Lebensentscheidungen und Veränderungen – und mich ihrem Zuspruch und ihrem vielleicht-auch-Widerspruch aussetzen? Brauche ich das? Dafür gab es gar keinen konkreten Auslöser. Ich habe nur in den vergangenen Jahren öfter mal von Menschen in meinem Umfeld gehört: „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen.“ Komisch, mir war gar nicht klar, dass ich mich oft rechtfertige. Aber es stimmt, ich erläutere ganz oft und wahrscheinlich viel zu detailreich, warum ich tue, was ich tue, warum anderes nicht geht und überhaupt, warum ich entscheide, wie ich entscheide.

Ich bin jetzt über 40. Und ich muss mich nicht mehr erklären. Nicht mal meinen Allerliebsten gegenüber, die mir ja zutrauen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne mich permanent über alles mit ihnen zu beratschlagen. Und Fremden gegenüber schon mal gar nicht. Und auch mir selbst gegenüber nicht – denn meistens dienen endlose Sprachnachrichten vor allem der Ordnung der eigenen Gedanken, gar nicht mal so sehr dem Mitteilen. Natürlich werde ich auch weiter Sprachnachrichten mit denen austauschen, mit denen ich es am liebsten tue – J, D, S und S und vielleicht noch ein paar anderen. Denn ich freue mich, zu hören, was es bei ihnen Neues gibt, und ihnen darauf zu antworten. Was ich nicht mehr tun möchte, ist, sie als Zuhörer:innen für meine eigenen Gedankenstrukturierungsübungen zu benutzen.

Leben muss manchmal auch unausgesprochen funktionieren, Leben muss sein Geheimnis und seine Leichtigkeit wahren dürfen. Und ich bin dafür zuständig, dass das gelingt.

Eine Antwort zu „Mach dein Handy aus. Jetzt.”.

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Über dezembra

Anne: Frau, über 40, Redakteurin, Buchautorin, kinderlos und verliebt ins Leben, bloggt über Zwischenmenschliches und Psychosoziales, über Frauenthemen und Arbeitsdinge, übers Reisen und das Leben ohne Schilddrüse.

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